Eine kleine Geschichte mit Video am Ende
Das Ruhrgebiet und seine Bewohner hatten es nie leicht. Wir haben vieles und noch mehr nicht. Das kulturelle Leben ist lebendig und bunt, man hat einen besonderen Blick für das Schöne weil das Hässliche häufig ist, man muss damit leben, dass wer nie hier war es sich völlig anders vorstellt und wir sind längst entwachsen aus der Zeit wo der Satz "Das hätte ich ja nicht gedacht, dass es hier so viel Grün gibt" etwas Neues ist. Der Weg in die Alpen ist weit, die Winter mild und wenn mal Schnee fällt, verwandelt er sich meist noch bevor er den Boden berührt in ein graues matschiges etwas. Doch nicht in diesem Februar, in dem sowieso alles anders ist als sonst.
Meine Tage sind lang, das Tageslicht noch immer knapp und an jenem Abend als meine Frau sagt sie muss noch etwas in Ruhe lesen, ich soll doch noch "ne Runde um die Kemnade drehen", da erwacht ein alter Trieb. Die Kemnade meint den Kemnader See, ein Stück aufgestaute Ruhr im Bochumer Süden. Einmal drumherum sind es 8 oder 10km, je nach dem welche Brücke man nimmt, und weil der Rundweg durchgängig beleuchtet ist, ist es gerade im Winter wenn es mit den üblichen Feierabendzeiten bereits dunkel wird oder ist, einer der zentralen Treffpunkte der Läufer der Stadt. Die Langstrecken- und Geländeläufer (ich bin ausgerechnet auch noch beides) können den See am Ende des Winters meistens nicht mehr sehen, man ist die Runden auf dem flachen Asphaltband einfach leid.
Um die Zeit ist der Parkplatz sonst vollgeparkt. Heute hat es nur vereinzelt jemanden hierher verschlagen. Ein Vater der sein Kind auf einem Schlitten zieht kann die Frage seines Sprösslings nicht recht beantworten was der Mann da macht, als ich meine Tourenski auffelle.
Und dann stehe ich wieder auf den Brettern - am See in meiner Heimat im Flachen, aber ich habe die Ski an den Füßen und unter ihnen ist Schnee. Das erste Mal seit Januar 2020, das Jahr das keines war hat mich zur längsten Skipause seit dem Winter 1990/91 gezwungen.
Links das Wasser, rechts die Hänge der kleinen Hügel des Bochumer Südens. Eine Treppe führt hinauf und sie ist eingeschneit. Wer hätte gedacht, dass ich zu Hause jemals die Steighilfen an meiner Bindung ausklappe.
Klappt aber wunderbar.
Die Stirnlampe leuchtet die Richtung entlang des kleinen Pfades durch den Ilex.
"Hoch" oben - im Ruhrgebiet sprechen wir bei 50m tatsächlich von "hoch"

Der beleuchtete Rundweg sieht aus wie ein Band aus Licht.
Die Uni Bochum - mit 43.000 Studierenden ist sie eine Stadt in der Stadt. Keine Augenweide, aber auch sie ein Stück Kultur.
Vorne rechts im Bild erkennt man einen kleinen Betonpfeiler und weiter hinten im Wald im Lichtkegel so einen schrägen Betonträger. Sie gehören zu etwas mit Vergangenheit.
Noch vor dem zweiten Weltkrieg, damals als in den Alpen noch ausschließlich das Vieh statt Touristen gemolken wurde, hatte das Ruhrgebiet sie längst: Seilbahnen. Und sie waren nichts besonderes und teils viele Kilometer lang und schon damals echte 2S-Bahnen mit Kuppelklemmen. Nur an Tourismus dachte niemand dabei.
Diese Allee bin ich im Sommer schon so oft gelaufen und an Hitzetagen ist es stets eine willkommene Schattenpassage.
Am Ruhrlandheim, eine Einrichtung der Diakonie für Menschen mit geistiger Behinderung, ziehe ich die Felle ab - mancher würde sagen, es sei eine passende Kulisse dafür. Dann geht es wahnsinnige 50 Höhenmeter einen sonst asphaltierten Feldweg vorbei an zwei Wohnhäusern hinab zurück an den See und mit dem letzten Schwung bis auf einen vereisten Steg quasi bis aufs Wasser. Das soll mir in Norwegen erstmal einer nachmachen!
Im Skatingschritt geht es am Wasser entlang, ab hier noch 6km bis zum Auto. Ich fand manche Diskussionen um 20m "unkomfortable Schiebestrecken" beim Neubau irgendwelcher Sessellifte immer schon grotesk (die damals vom Neubau der Rotadelbahn im Stubaital hat sich irgendwie besonders eingebrannt)
Der Segelhafen ist verwaist. Die durchgängige Lichtspur in der Bildmitte ist die Fußgängerbrücke an der Wehranlage
Den Schnee von der Brücke hat der Ostwind abgeblasen, aber es gibt eine richtige Eissicht, die vollkommen ausreicht.
Mit ein bisschen gutem Willen könnte es auch ein Fjord sein.
"Vorsicht, starkes Gefälle" - der Todesberg mit mindestens 5 Höhenmetern hat schon so manchen Inlineskater die knöcherne Integrität seines Handgelenks gekostet.
Wenn man am oberen Ende des Sees angekommen ist, führen zwei Arme der Ruhr als Zulauf hinein. Hier gibt es keine eigene Fußgängerbrücke sondern die einladende Konstruktion eines Stegs, der Hängend unter die Brücke der Autobahn 43 montiert ist. Über eine kurze, zum Skaten knapp zu schmale Rampe, stochere ich etwas ungelenk hinauf.
Ich hatte es befürchtet - weder Eis noch Schnee. Ich muss abschnallen. Der Tourenskifahrer hat es nicht leicht in der Großstadt.
Dann geht man wieder eine Rampe runter und steht zwischen den beiden Ruhrarmen. Der 10km-Weg führt rechts rum ein Stück die Ruhr aufwärts bis zu einer Fußgängerbrücke. Ich nehme die kürzere Variante und gehe geradeaus die nächste Rampe wieder hoch. Hier ist kein Mensch - selbst den friedlichen Brücken-Junkies ist es heute offenbar zu kalt.
Der zweite Steg ist nicht beleuchtet - da die offizielle Runde nur über den ersten führt. Für ein Landei ohne Stirnlampe wäre es vielleicht ein bisschen gruselig. Über mir rauscht der Verkehr der A43.
Die Abfahrtrampe ist weiß - nur dieses Quergatter unten ist etwas hinderlich.
Langsam nähere ich mich wieder dem Ausgangspunkt.
Der Bochumer Südgrad - der Todesaufstieg vom Beginn.
Die Lichter des Parkplatzes läuten das Ende der Runde ein und verheißen ein Getränk am Kofferraum. So wie nach jedem Lauf.
Mit dem Handy in der Hand und auch auf selbigem zusammengetackert - aber wie immer reicht es für den Eindruck.
Teil 2 ist mittlerweile hier erschienen: