Die Politik schielt nach Imageerfolgen
Pitztal. Die neuen Anlagen am Gletscher werden dieser Tage abgenommen, der Notweg ist unter Dach und Fach. Gletscherbahnen-Prokurist Willi Krüger zieht eine nüchterne Bilanz über die „Causa Pitztal“ und das Wirtschafts- und Investitionsklima in diesem Land.

„Causa Pitztal“: Willi Krüger kritisiert das Investitionsklima in Tirol.
01.12.2006 | Ulrike Reisner
Willi Krügers Resümee ist rational. Wenige Wochen nach dem medialen Hype rund um die „Causa Pitztal“ macht sich der Prokurist der Pitztaler Gletscherbahnen keine Illusionen. „Wir haben – unfreiwillig – ein mediales Sommerloch gefüllt“, meint er, „die Politik beschließt oft schwer nachvollziehbare Gesetze mit viel Interpretationsmöglichkeit. Die Beamten haben Spielraum. Das führt aber auch zu einer fast inflationären Sachverständigentätigkeit und zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen.“
Zur Erinnerung: Jahrelang hatten die Pitztaler um eine eigene Talabfahrt gerungen, 2002 auch schon ein entsprechendes Projekt eingereicht und wieder zurückgezogen. Mit der Änderung des Tiroler Naturschutzgesetzes im Mai 2004 schien sich das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Dabei war und ist die von Kritikern gerne als „Lex Pitztal“ betitelte Novelle politisch mehr als umstritten. Damals wurde nämlich im Tiroler Landtag unter anderem eine Ausnahme von den naturschutzrechtlichen Bestimmungen für sicherheitsbehördliche Maßnahmen im Katastrophenfall beschlossen. Die Pitztaler reichten also ihre Talabfahrt unter diesem Aspekt erneut ein, erhielten allerdings einen negativen Bescheid, weil der Umweltbehörde die Variante zu wenig schnee- und lawinensicher schien. Ein Akt politischer Willkür? Was folgte, war ein medialer Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern, mit manch unschönen Varianten, wie der Verquickung mit Kraftwerksplänen der TIWAG im Taschachtal. Auch Landeshauptmann Herwig van Staa musste im Zuge der „Causa Pitztal“ Federn lassen, angeblich, weil er sein Wort nicht gehalten hätte. Schließlich war es Naturschutz-Landesrätin Anna Hosp, die mit der Errichtung eines Notweges die aus der Sicht des Landes bessere Sicherheitslösung, noch dazu ohne UVP-Pflicht, auf den Tisch legte und damit den gordischen Knoten zerschlug. Nun wird am Pitztaler Gletscher mit Volldampf gebaut. Für November sind die seilbahnbehördlichen Abnahmen der neuen 6er-Sesselbahn Gletschersee und der 8er-Gondelbahn Mittelberg vorgesehen. Kritik am neuen Notweg gibt es natürlich, geäußert vor allem von jenen, die darin die baulichen Vorbereitungen für die Verbindung der beiden Gletscherskigebiete im Pitztal und im Ötztal sehen.
Interessenskonflikt. „Wir haben eben immer noch das Image von Baggern und Bauen“, meint Willi Krüger. Ihn persönlich stört, dass die Politik häufig nach Imageerfolgen schiele und mit unvollziehbaren Gesetzen und schier endlosen Behördenverfahren den Unternehmen die Eigenverantwortung bei den Investitionen abspreche. „Sonst wird doch so viel Tamtam gemacht um Betriebsansiedlungen, um neue Arbeitsplätze et cetera. Da wird politisch der rote Teppich ausgerollt“, bringt er seinen Unmut auf den Punkt. „Doch eingesessene Unternehmen müssen betteln gehen, dass sie – wie in unserem Fall – 17 Millionen Euro investieren dürfen.“
1991 hat sich das Land Tirol zum umfassenden Gletscherschutz bekannt, nachdem in den Siebziger- und Achtzigerjahren eine massive Erschließung der Gletscher vorangetrieben worden war. Seit 23 Jahren laufen nun die Anlagen am Pitztaler Gletscher (siehe Kasten), darunter die Schrägstollenbahn Pitzexpress. Sie überwindet eine Höhendifferenz von 1120 Metern auf einer Bahnlänge von 3786 Metern und hat eine Beförderungskapazität von 1600 Personen pro Stunde. Was vor mehr als 20 Jahren modernster Stand der Technik war, muss nun – nicht zuletzt nach dem tragischen Unglück in der Kapruner Stollenbahn im November 2000 – verschärften Sicherheitsstandards unterzogen werden.
Dies ist in der Pitztal-Diskussion ebenso mit zu berücksichtigen, wie die Tatsache, dass der Gletscherskilauf durch den Klimawandel vor völlig neuen Herausforderungen steht. „Wenn die Klimapessimisten Recht behalten, dann sind wir auf dem Weg in die Höhe“, so Krügers lakonischer Schluss.
Für die Gletscherbahnen steht als nächstes das Projekt Fernerkogelbahn (auf 3277 Meter) auf dem Programm. „Durch die Festlegungen im Gletscherraumordnungsprogramm haben wir jetzt etwas mehr Planungssicherheit“, gibt sich Willi Krüger zuversichtlich, „und wenn dieser Schritt vollzogen ist, dann ist der skitechnische Zusammenschluss mit Sölden nur mehr ‚peanuts‘.“ Aus unternehmerischer Sicht ist dieser Schritt logisch, doch sind heftige Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern bereits jetzt vorprogrammiert. „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe einst in seinem Zauberlehrling. Hat sich das Land Tirol vor mehr als 20 Jahren in Sachen Gletschererschließung selbst in eine Sackgasse manövriert? Steht der Tourismus vor der paradoxen Situation, dass er sich mehr denn je dem Vorwurf der Landschaftszerstörung aussetzen muss, damit er in Zeiten von steigenden Temperaturen und schwindender Nachfrage auf den Skimärkten überhaupt überleben kann? Was wird aus Tälern wie dem Pitztal, wenn es Leitbetriebe wie die Gletscherbahnen mit all der daranhängenden Infra- und Suprastruktur nicht mehr gibt?
Die „Causa Pitztal“ sollte Touristikern wie Politikern als warnendes Beispiel dienen. Es geht um weit mehr als um politisches Kleingeld und eine aufgeheizte Debatte im medialen Sommerloch. Die Verantwortlichen hätten durchaus vernünftige Instrumentarien in der Hand, um wirtschaftliche Interessen, Raumplanung und die Erhaltung von Natur- und Kulturräumen langfristig besser aufeinander abstimmen zu können. Wenn verhindert werden soll, dass sich die Natur langsam den ihr mühsam abgerungenen Raum zurückholt, wird es laufend Investitionen in die Infrastruktur der Tiroler Talschaften brauchen. Doch dafür müssen Politiker in weit längeren als in fünfjährigen Wahlzyklen denken.
Pitztaler Gletscherbahnen
Die Pitztaler Gletscherbahnen GmbH & Co KG wird 1980 gegründet. Neben dem Innsbrucker Steuerberater und Unternehmer Hans Rubatscher ist die Familie Wetscher (Möbel Wetscher, Fügen) sowie die Familie Gschwantner mit David Zwilling (Voglauer Möbelwerk, Abtenau) neben anderen am Unternehmen beteiligt. Unmittelbar vor Weihnachten 1983 wird das Gletscherskigebiet nach einer Erstinvestition von 23 Millionen Euro in Betrieb genommen. Im Jahr 1995 übernimmt das Unternehmen das Skigebiet Rifflsee in der Gemeinde St. Leonhard, 2000 beteiligt man sich zu 70,5 Prozent an den Kaunertaler Gletscherbahnen. Des Weiteren hält die Pitztaler Gletscherbahnen GmbH & Co KG 40 Prozent der Anteile an der Rathaus Passage GmbH in Innsbruck. 2006 werden 17 Millionen Euro in die Erneuerung der Anlagen investiert (Bild).