manitou hat geschrieben: 09.11.2019 - 08:50
Habe mir die von User gernot verlinkte TV-Diskussion angeschaut,
https://www.puls4.com/pro-und-contra/vi ... hen-766848
und musste feststellen, dass sie mich als Touristiker doch herausfordert – dessen Ergebnis dieses kritische Essay ist:
Dieses Mädel vom WWF geht ja gar nicht – was die für einen plakativen und manipulativ suggerierenden Mist von sich gibt ist typisch für diese Ökofundis. Da hat der Söldener Bürgermeister gut gegengehalten.
Aber auch der Bürgermeister verdreht und beschönigt die Situation – er verharmlost u.a. die Dimension der Bergkuppenabtragung – gleichermaßen wie die Ökos sie übertreiben – und erzählt Unwahrheiten über die wirtschaftliche Notwendigkeit und den Arbeitsmarkt.
Ich selbst bin eher skeptisch, ob die Abtragung der dortigen Bergspitze umweltschädlich ist.
Schauen wir jedoch auf die gegenwärtige behördliche Handhabung und das Brimborium, welches bereits die Abtragung eines ca. 6m hohen Kamms im Pitztal ausgelöst hat – dann dürfen die Behörden vom Prinzip her keinen Abtrag von 36m zulassen. In Relation zu den Geländekorrekturen, die beim Straßenbau oftmals erfolgen, ist diese Bergkuppe allerdings ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Die folglich wichtige Frage – welchen grundlegenden Bewertungsmaßstab legen wir an –wurde leider nicht diskutiert!
Im zweiten Teil, der Diskussion ging es dann über die touristischen Auswirkungen des Projektes und da wurde es für mich interessant: Der Grüne wollte hinterfragen, woher die kalkulierten +160tsd, Ü eigentlich kommen; werden sie andernorts abgezogen oder neu generiert (ab Min. 42). Der Grüne hat völlig recht, dass hier eine tourismuspolitische Frage zu klären ist. Dem sind die beiden Tourismusexperten ausgewichen und haben zur Realität eines gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs im Ski-Tourismus geschwiegen oder herumgeredet,
wenn Zellmann positivistisch sagt, dass das Projekt den Wettbewerb ankurbeln soll.
Prima – dann bauen demnächst alle anderen Gletscher auch aus! – und es werden weitere Gletscherflächen neu erschlossen. Sie müssen sich ja dem Wettbewerb anpassen.
Der Typ macht es sich ziemlich einfach – m.E. verantwortungslos! Er stammelt in Min 42.39 vor sich hin,
dass bei einem solchen Zusammenschluss der Egoismus der Betroffenen vor Ort obsiegt!
Hallo - Ich spreche dem Mann volkswirtschaftliche Tourismuskompetenz und Verantwortungsbewusstsein als Berater ab. Wie will der Typ jemanden objektiv beraten? Wie will er mit jener Einstellung eine kleine Destination beraten? Packt ein und macht zu? oder redet er denen dann nach umgekehrt mit Mitgefühl gegen die Großen nach dem Maul – ganz in der Manier einer Hure, die bezahlt wird?!
Und der Bürgermeister hat hier ebenso sehr geschickt und mit indirekter Suggestion auf die Tränendrüse hinsichtlich der Existenzsicherung von einst am Hungertuch nagenden Talbewohnern gedrückt (Stichwort arme Bergbauern mit einer ausgemergelten Kuh; Min 7.40). Richtig liegt er mit seiner Darstellung der Tourismusentwicklung: Zuerst haben die Alpenvereine den Sommertourismus in den Bergen als Massentourismus mit unzähligen Hütten erschlossen – und heute sind sie gegen eine andere Form der Erschließung. Da könnte ich kindisch sagen:
„Du hast angefangen…!“
In einem Zeitungsartikel stand, dass im Pitztal 800 Gästebetten abgebaut wurden, der Söldener Bürgermeister sprach von einem Übernachtungsrückgang und einer Abwanderung der Leute, weshalb Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Wenn man das genauer analysiert erweist sich diese Argumentation als suggestiver Käse:
1. Übernachtungen:
Hier müsste zunächst geprüft werden, wo im Tal standen diese 800 Betten und was war der wirkliche Hintergrund ihres Verschwindens.
Die Statistik zeigt, dass schlecht ausgestattete Hotels und einfache Privatunterkünfte/Pensionen einen starken Ü-Rückgang hatten, d.h. sie sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Entweder sie investieren oder sie sterben, das wird auch nicht verhindert durch einen Skigebietsausbau.
Jener fördert vielmehr den Neubau von modernen Großhotels, wodurch das Sterben der vorgenannten Herbergen zunimmt. Im Schwarzwald z.B. wurden seit 1990 ca. 20% der Herbergen aufgegeben. Allerdings sind die Übernachtungszahlen nicht zurückgegangen, sondern sind seit 2005 sogar um ca. 5% gestiegen. Hier findet folglich ein Aussiebungsprozess nicht wettbewerbsfähiger Herbergen statt zugunsten einer höheren Wirtschaftlichkeit und Auslastung der bestehenden Herbergen – unter ökonomischen Gesichtspunkten also insgesamt eine positive Entwicklung mit punktuellen Sorgenkindern. Ähnliches passiert auch in Tirol – weniger Betten sind oft gesund. In Oberstdorf bspw. hat ein Expertenteam vor einigen Jahren den Abbau von 15% der Bettenkap. empfohlen, für eine effizientere Bewirtschaftung.
Während andere seit den 90er Jahren Betten abbauen, betreiben Sölden und Ischgl seit den 90er Jahren massive Bettenexpansion. Folglich schaffen die sich selbst den Druck jene zu belegen und müssen ihre Skigebiete ausbauen. Ein Hamsterrad.
Gerade die beiden Destinationen Sölden/Ischgl (und auch Saalbach) sind ja keine klassisch-traditionellen Skiorte wie jene
https://www.bestofthealps.com/de/, sondern sie sind eher ein künstliches Expansionsprodukt.
Bis Anfang der 80er Jahre waren Winter/Sommer in Sölden ungefähr ausgeglichen, dann setzte man auf Winter pur und knallte nach oben. Der Sommer wurde im hinteren Ötztal total vernachlässigt. Auch der jetzige Sommertourismus spielt sich vorwiegend im vorderen Ötztal ab. Derzeit macht Sölden ca. 2,5 Mio Ü mit ca. 17.000 Betten davon 80% im Winter. Vgl. Oberstdorf macht 2,7 Mio Ü mit 17.000 Betten, davon ca. 65% im Sommer. Die Wintersaison ist kürzer als die Sommersaison. Wie will Sölden im Winter Übernachtungszahlen steigern mit einem Skigebietsausbau? Der Ort hat kaum noch freie Kapazitäten und jedes neu gebaute Bett steht im Sommer leer, weil keine Nachfrage existiert. Nur mal so am Rande: Der Neubau eines Hotelbettes der 4Sterne-Kategorie kostet summiert ca. 70.000€
Sölden ist im Wintertourismus die uneinholbare Nr.1 in Tirol (und ganz Österreich). Sölden hat einen Übernachtungsvorsprung von 30% gegenüber der Nr. 2 Ischgl.
https://www.tirol.gv.at/fileadmin/theme ... r_2018.pdf
Der sorgenvolle Söldener Bürgermeister jammert über existentielle Themen – was soll das? Tatsächlich will Sölden als Marktprimus den anderen noch mehr wegnehmen – Falkner ist so ein „to the top“ Typ. Ich kenne solche Charaktere und ihre Einstellungen zu gut aus zig persönlichen Auseinandersetzungen. Mit Vernunft ist denen leider nicht zu begegnen. Söldens massive Expansion ist das Werk von Falkner – der ist genauso egozentrisch unersättlich wie Jeff Bezos, Donald Trump und zig andere Wirtschaftsmogule.
https://www.zeit.de/2013/01/Skiort-Soel ... ob-Falkner
Ja – Falkner hat viel positives für Sölden getan, aber man muss kritisch fragen, ob diese Expansionspolitik nicht übers Ziel hinausschießt?!
Sölden hat nun das Problem, dass man für die Gästeanzahl zu wenig Pisten hat. Sölden braucht folglich die Erweiterung ins Pitztal. Nun kann man aber auch argumentieren, wer so raffgierig ist, hat selbst schuld an dem jetzigen Dilemma.
Und nun wird gejammert, etwa in der Weise wie die Bayern, wenn sie nicht Tabellenführer sind. Sölden (-1,5%) und St. Leonhard (-5%) haben tatsächlich einen Übernachtungsrückgang im Winter – Sölden sogar mit 34tsd die zahlenmäßig höchsten in Tirol. Allerdings sind -1,6% in Sölden in dieser Größenordnung eher als normale Schwankung zu betrachten.
Vielleicht haben aber auch ein paar kluge Skifahrer vom Sölden-Rummel die Nase voll?!
In St. Leonhard sind -5% schon gravierender. Man muss jedoch berücksichtigen, dass der für das Pitztal so wichtige Monat Oktober nicht in der Winterbilanz erfasst wird, sondern im Sommer und da ist die Bilanz im Pitztal in den letzten Jahren recht gleichbleibend. 2017/18 war ein guter Winter und Ostern war Ende März - es ist klar, dass dann das Pitztal mit seinem Gletscher ins Hintertreffen gerät, denn die Leute buchen dann niedrigere Skigebiete. Mit einem Gletscherausbau kann man solche Schwankungen also nicht ausgleichen, denn im Hochwinter ist es auf dem Gletscher zu kalt und folglich wird das Pitztal (außer Jerzens) noch mindestens 15Jahre weniger interessant für die Monate Jan/Feb sein.
Tirol hat ca. 40% Sommertourismus und 60% Wintertourismus. Das Pitztal liegt hier statistisch ziemlich im Trend, allerding kann man wirklich sagen, dass das Pitztal vom Ski-Tourismus abhängig ist, denn der Oktober im Pitztal mit großem Abstand der stärkste Sommermonat. Diese Zahlen zeigen, dass angesichts des Klimawandels Investitionen verstärkt in den Sommer gesteckt werden müssen und nicht in den Winter, um nachhaltig gerüstet zu sein. Hier sehe ich keine Anstrengungen im Pitztal.
Die Ü-in Tirol stiegen seit Jahrzehnten bis heute kontinuierlich an, d.h. dem Tourismus geht es sehr gut – jammern ist fehl am Platz bzw. internen Gründen geschuldet – und zumeist Auswirkungen des selbst verschuldeten Verdrängungswettbewerbes, den die Großen anfeuern – und genau das sieht man gegenwärtig auch mit der Gletscherehe, die Sölden noch weiter nach vorne katapultieren würde.
Grafik 20 in der oben verlinkten Landesstatistik verdeutlicht, wie der Skigebietsgigantismus einer klassischen Wintersportdestination wie Seefeld im Winter die Gäste wegnimmt, weil jene topografisch nicht ausbauen können. Seefeld steht hier beispielhaft für viele kleine und mittlere Destinationen. OK - es braucht größere Skigebiete als Seefeld, aber der Gigantismus braucht gesunde Grenzen. Andererseits zeigt die Stagnation von Tux und Stubai, dass dem Gletscher-Ski Grenzen auferlegt sind, die Sölden/Pitz nun gewaltsam durchbrechen wollen.
Man will 120 Mio. Euro investieren und damit die Wirtschaft im Tal ankurbeln und 160.000 zusätzliche Übernachtungen generieren d.h. auch 160.000 weitere Ersteintritte.
Wollen die uns verarschen?! Wie soll sich das amortisieren?
Da müssen mind. noch einmal die gleiche Anzahl an Tagesgästen hinzukommen – und genau das wird passieren! Juhu - viel Spaß auf dem Fernpass und in den Talstraßen. Die sind dafür gar nicht ausgelegt. aber das soll möglichst nicht publik werden. Aber das hat der Grüne in der Diskussion auf dem Schirm. Es wird eine zusätzliche Belastung von ca. 5000-7000 PKW pro Wochenende geben. Die Ü-Gäste reisen ja zudem auch meist am WoE an.
Die Bergbahnen kalkulieren die eigentlichen Kosten für Straßenbelastung nicht ein – das zahlt dann der Steuerzahler – und genau das ist eine Milchmädchenrechnung genauso wie die Wirtschaft die CO² Belastung nicht auf dem Schirm hatte und am liebsten weiterhin nicht haben will. Würden die Bergbahnen für die erforderliche Verkehrsstruktur aufkommen müssen (beispielsweise eine Bahnstrecke durchs Ötztal bauen), wäre das Gletscherprojekt hier und jetzt sofort tot – oder der Skipass müsste ca. 90€ kosten.
Das wäre eine realistische Kostenkalkulation!
Auch die Skifahrer selbst sind ziemlich uneinsichtig und maßlos geworden, denn nach dem Preis ist die Größe des Skigebietes das zweitwichtigste Buchungskriterium (Min. 43). Die Ansprüche der Skifahrer und der Ausbauwahn befeuern sich hier gegenseitig in einer unheilvollen Allianz. Zudem ist Skifahren ein Luxus des gut situierten „obersten Drittel“, sagt Zellmann.
Allgemein gesagt: Diese egozentrische „schneller weiter höher“ Mentalität, welches in allen Teilen der konsumorientierten Bevölkerung und in allen Branchen zu verzeichnen ist, trägt die größte Verantwortung für die Probleme der Globalisierung und des Klimawandels.
2. Arbeitskräfte:
Auch das Arbeitskräfteargument des Söldener Bürgermeisters ist haltlos. Touristische Arbeitskräfte werden in der Landesstatistik grob erfasst. Man kann errechnen, dass Sommer wie Winter ca. 17.000 Einheimische im Herbergswesen arbeiten, d.h. der Einheimischen Arbeitsmarkt ist konstant und gesättigt, denn im Sommer werden zusätzlich ca. 19.000 ausländische Kräfte benötigt und im Winter >23.000. Man kann klar erkennen, dass gar keine Arbeitslosigkeit im Tourismusgewerbe herrscht – im Gegenteil es existiert massiver Arbeitskräftemangel. Nun will uns der Bürgermeister glauben machen, dass Einheimische aus den Tälern abwandern, weil keine Arbeitsperspektiven bestehen – was für eine Märchenstunde! Sie ist mindestens genauso lächerlich und phobisch/hysterisch wie das Geschwätz der Ökofundis.
Junge Leute verlassen die Täler, weil sie ihr Leben verwirklichen und die Welt erleben wollen – deshalb zieht es sie in die Städte. Sie wollen in anderen Jobs arbeiten und nicht im Tourismus, denn sie wollen Freitags um 13 Uhr Feierabend haben und das Wochenende genießen. Die wenigsten sind noch bereit, am Wochenende zu arbeiten, doch genau solche Jobs fördert/produziert der Skitourismus. In dieser Hinsicht wäre die Gletscherehe kontraproduktiv. Das wäre ungefähr so, als wenn VW ein riesiges Werk auf Bornholm errichten würde, obwohl es dort keine Arbeitskräfte gibt. Die Gletscherinvestition geht also am realen Arbeitsmarkt vorbei.
Gleichwohl ist die Aussage des Experten in der Diskussion wohl richtig, dass in Tirol jeder 3. Arbeitsplatz in der Wertschöpfung vom Tourismus abhängig ist. Die Einheimischen wollen aber offensichtlich nur noch indirekt für den Tourismus arbeiten und nicht mehr unmittelbar, sonst bräuchte es nicht die Osteuropa-Armee in der Gastro/Hotellerie.
Auch Willingen verliert seine jungen Leute und außer Osteuropäern wollen auch junge Leute nicht nach Willingen ziehen, weil es wie Sölden ein „Kuhkaff“ ist – beide Orte haben 3000 Einwohner. Und obwohl das Kuhkaff Willingen eine Freizeitinfrastruktur und ein ganzjähriges Nachtleben hat (Sölden hat es nur im Winter), mit dem quasi keine Stadt unter 100.000 Einwohnern mithalten kann, wollen sie da nicht hin, sondern in die Ballungsräume.
Gleichermaßen wollen viele junge Tiroler lieber im infrastrukturell gut erschlossenen Inntal oder gleich in Innsbruck-Nähe leben.
Die Arbeitsplatzaussagen des Bürgermeisters sind folglich irreführendes Geschwätz.
Den Bergbahnen geht es gar nicht um Arbeitsplätze im Tal, und die zusätzlich bei den Bergbahnen benötigten Arbeitskräfte halten sich volkswirtschaftlich in Grenzen.
Fazit:
Sölden ist Amazon im Skitourismus – eine unersättliche Krake, die sich mit der Gletscherehe seine „Macht“ im Skizirkus ausbauen will. Bislang gibt es in A keine Skidestination, die sowohl den Gletscher- als auch Industrie-Skimarkt dominiert – und das ist gut so! Deshalb sollte es die Gletscherehe nicht geben.