Hochries, Kampenwand, Hochfelln - das sind seit langen Jahren die Seilbahnen, die sich in dieser Reihenfolge rechts der A8 kurz vor Erreichen meiner traditionellen Unterkunft nahe Traunstein zeigen. Und wenn dann nicht noch ein Stau dazwischen kommt, ist das Urlaubsfeeling perfekt. Auf Kampenwand und Hochfelln bin ich zuletzt immer mal wieder raufgefahren. Mein letzter Besuch an der Hochries ist jedoch mehr als 10 Jahre her - und damals fuhr ich wetterbedingt auch nur mit der ersten Sektion. Oben am Gipfel stand ich somit zuletzt im Kindesalter. Anstatt also vom Urlaubsort wie sonst (vor Corona) für die Seilbahntouren schnell über die Grenze nach Tirol, Salzburg, Oberösterreich oder in die Steiermark zu fahren, ging es in diesem Juni vormittags einfach mal nach Samerberg.
Die Hochries ist ein Ausflugs- und Wanderberg in den Chiemgauer Alpen. Erschlossen wird er von Frühling bis Herbst von einem Einersessellift und einer Pendelbahn. Im Winter sind die Anlagen nicht in Betrieb. Das war nicht immer so, denn am ESL hat es bis vor wenigen Jahren regulären Skibetrieb gegeben. Und es hätte noch viel mehr werden sollen: In der Erschließungszeit 1969 (ESL) bis 1972/73 (PB) hatte man große Pläne für einen "Skizirkus", "ein Paradies für Wanderer und Wintersportfreunde", wie es in verschiedenen zeitgenössischen Berichten und Annoncen heißt. Letztlich scheiterten die Pläne.
Zusammengefasst ist die Geschichte der Bergbahnen auf der offiziellen Homepage: https://www.hochriesbahn.de/service-inf ... geschichte sowie im dort verlinkten PDF "Hochriesbahn - seit 75 Jahren Traum und Wirklichkeit". Deutlich spannender und detaillierter ist jedoch Dieter Vögeles "80 Jahre Hochriesbahn - Traum und Wirklichkeit, 1934-2014". Die Sammlung enthält zeitgenössische Zeitungsartikel, Annoncen, Gutachten, Pläne und Fotos (das PDF findet sich über die Google-Suche).
Zunächst von der Vergangenheit in die Gegenwart: Los geht das Vergnügen im Juni 2021 an der Talstation des Wito-ESL in Samerberg.
Die Konstruktion der Wito-Umlenkung kennt man von den älteren Skiliften des Herstellers - nur dass sie beim ESL eine Spur größer sein dürfte.
An diesem Junimorgen unter der Woche ist nicht viel los und so kann die Fahrt direkt beginnen. Nach dem Ticketkauf an der Kasse und dem Einstieg kann auch die Maske wieder abgenommen werden. Und da sag übrigens nochmal einer, Einersessellifte seien nicht familientauglich. Im Sessel vor mir wurde sogar ein Kinderwagen befördert. Links oberhalb des Stützenjochs zeigen sich übrigens Spannfeld und Bergstation der zweiten Sektion.
Markus, die Stützen könnten neue Aufkleber gebrauchen
Gemächlich wird man die rund 1.000 Meter lange Strecke hinauf befördert. Die Höhendifferenz zwischen den Stationen beträgt etwa 200 Meter. Unterhalb des Lifts, wenn auch schwer zu erkennen, verläuft der "Rocky Mountain Bikepark", der der Anlage im Sommer eine Vielzahl an Fahrgästen beschert.
Der Umstieg folgt an der Mittelstation, eine Kombination aus ESL-Berg- und PB-Tal- sowie einer Jausen-Station dazwischen.
Wartebereich und Zugang zur Hochries-Pendelbahn. Es galt noch eine Materialfahrt für die Hochrieshütte abzuwarten, bevor die kurzweilige Fahrt beginnen konnte.
Das lange Spannfeld reicht fast bis zur Bergstation. Die Anlage hätte wohl eigentlich stützenlos ausgeführt werden sollen. Doch laut Liftworld führte ein "Berechnungsfehler" dazu, dass es kurz vor der Bergstation eine riesige Portalstützen gibt - die von hier unten fast nicht sichtbar, aber aus der Entfernung und beispielsweise von der A8 eine Landmarke ist.
Blick Richtung Inntal, vorne liegt die Ebersberger Alm. Dort etwa hätte eine der Pistenvarianten von der PB-Bergstation aus verlaufen sollen, die in den 1970er Jahren geplant wurden.
In der entgegengesetzten Richtung grüßt hinten der Chiemsee. Auf dem Hochplateau rechts bei den Almen hätte der massentaugliche Einstieg in die zweite Variante, die Nordabfahrt errichtet werden sollen. Als Route wurde die Abfahrt wohl tatsächlich genutzt - auf Google.Maps kann man sie erkennen.
An der Bergstation angelangt kommt man um einen Blick auf dieses Ungetüm von einer Seilbahnstütze nicht herum.
Mit passierender Kabine werden die Dimensionen deutlich.
Die Seilbahnstation am Berg ist rein funktional und nicht weiter ausgebaut. Von hier aus starten verschiedene Wandertouren und es gibt einen Startplatz für Gleitschirmflieger.
Letzterer mit dem Voralpenpanorama rund um den Chiemsee
Ich nutzte die Zeit für ein zweites Frühstück in der etwas höher gelegenen Hochrieshütte bei Kaiserschmarrn und Cappuccino. Die DAV-Hütte ist top renoviert, ohne dabei ihren Charme als Gipfelhütte verloren zu haben - ich kann sie empfehlen (die übrigen Hütten im Gebiet habe ich nicht besucht).
Leider habe ich weder von der Hütte noch vom gedeckten Tisch ein Foto gemacht. Ich war wohl zu sehr im Genuss- und Entspannungsmodus. Zumindest diesen tollen Blick von etwas unterhalb der Terrasse habe ich abgelichtet. Es ist absolut traumhaft dort oben - warum habe ich mir das so lange entgehen lassen?
Am Horizont grüßt der Wilde Kaiser. In dieses Tal, das sich hinter der PB-Bergstation befindet, hätte sich der Skizirkus erstrecken sollen - aber wohl nicht im hier gezeigten Bereich, sondern weiter links außer des Motivs.
Das sollte das Gelände für den projektierten Skizirkus sein. Vom Tal unten hinauf zu meinem Standort war ein Lift als Rückbringer zur PB-Bergstation geplant - das Planungsgutachten von 1973 empfiehlt aufgrund des Geländes einen Sessellift. Auf der gegenüberliegenden Hangseite hinauf zum Predigtstuhl (nicht der in Bad Reichenhall!) hätte die Hauptbeschäftigungsanlage entstehen sollen. In einer Projektbeschreibung heißt es: "Eine Attraktion ist der schneesichere Kessel zwischen der Hochries und dem Predigtstuhl, dessen tiefster Punkt bei knapp 1.200 Metern Höhe liegt." Aus dem Talkessel heraus sollte es zudem per Piste bis nach Frasdorf zum dortigen Sagberglift gehen.
Veranschaulicht wird der geplante Skizirkus auf diesem Projekt-Pistenplan, der in der PB-Bergstation aushängt. Von rechts führen ESL und PB (doppelte Linie) auf die Hochries, von wo aus die zwei genannten Liftprojekte den Talkessel links erschließen. Am unteren Bildrand endet die lange Piste am Sagberglift in Frasdorf, den es tatsächlich gegeben hat.
Zusätzlich empfiehlt das Planungsgutachten für den Endausbau zwei weitere Skilifte, nämlich einen von der Abergalm zum Abergeck, "um einen Aufstieg von ca. 15 Minuten zu vermeiden" sowie um "ideale Übungshänge" zu erschließen. Der letzte Lift sollte schließlich eine "Rückführung der Skiläufer zu den Riesen-Almen und zur Nordabfahrt ermöglichen, auch wenn die langen Abfahrten im schönen Skigebiet Richtung Osten vorher befahren wurden".
Letztlich wurden weder die geplanten Skilifte noch Pisten gebaut. Dieter Vögele fasst den Hergang des Scheiterns wie folgt zusammen:
Bisher war viel von nie umgesetzten Projekten die Rede. Zwei waschechte Lsaps gibt es am Hochries dann aber doch. Das ist zum einen die seit einigen Jahren aufgelassene Talabfahrt am ESL. Zum anderen gibt es unterhalb der Mittelstation die alte Talstation des einzigen Schlepplifts, den man am Hochries dann doch gebaut hat: Das braune Gebäude links der Bildmitte. Dazu später noch mehr.Dieter Vögele, Hochriesbahn - Seit 75 Jahren Traum und Wirklichkeit hat geschrieben:Der Bund Naturschutz machte die Regierung von Oberbayern auf eine offensichtliche Fehlplanung aufmerksam: Die vom Wirtschafts- und Verkehrsministerium genehmigte Seilbahn führe in eine Gebiet, das überhaupt nicht für den Wintersport geeignet sei. Um eine Skiabfahrt ins Tal zu bekommen, müsste eine breite Schneise in den Nordhang der Hochries gesprengt werden. Dieser hätte ein für durchschnittliche Skifahrer unzumutbares Gefälle von mehr als 30 Grad. Außerdem sei er sehr lawinengefährdet. Da auch die Grundbesitzer ablehnten, kam die weitere Erschließung und Realisierung der vorgenannten Pläne nicht zu Stande.
Zoom auf Talstation und Trasse des ESL
Nach diesem kurzen Ausflug in nie umgesetzte Planungsgedanken stand für mich die Talfahrt mit der Pendelbahn an. Vorab ein paar Motivspielereien, mit denen ich mir die kurze Wartezeit vertrieb.
Zurück an der Mittelstation
Beim Blick zurück auf die Pendelbahn wird schon deutlich, dass das Gelände direkt an der Trasse nicht gerade danach schreit, zu Skipisten umgemodelt zu werden.
Kleiner Exkurs: An der Hochries hat man den Ausbau zum Skigebiet dann bleiben lassen, während er einige dutzend Kilometer weiter am Hochfelln - bei vergleichbar ungünstigen Verhältnissen - umgesetzt wurde. Dort wurde an der oberen PB-Sektion mit viel Mühe und künstlicher Pistenfläche eine Abfahrt erzwungen, die allerdings alles andere als massentauglich ist. Eine durchgehende Talabfahrt an der ersten Sektion fehlt am Hochfelln völlig und die zwei kurzen Lifte an der Mittelstation erschließen eigentlich auch keine nennenswerten Pisten. Zwei weitere kurze Lifte sind bereits demontiert (Pistenplan). Dennoch hält sich der Skibetrieb am Hochfelln bis heute - ich vermute jedoch mit überschaubarem Ertrag.
Zurück zur Hochries. Statt per ESL ging es für mich per pedes ins Tal. Denn mit dem erwähnten echten Lsap hatte ich seit sicher einem Vierteljahrhundert noch eine Rechnung offen.
Der Weg entlang des ESL ist mehr ein Spaziergang als eine Wanderung.
Hier eine der ehemaligen Abfahrtsschneisen am ESL. Den Skibetrieb dort hat man vor ein paar Jahren aufgegeben.
Deutlich länger her ist der Betrieb am erwähnten Lsap-Skilift, den es einmal links des ESL gegeben hat. Bei einem meiner ersten Besuche vor sehr langer Zeit war er mir aufgefallen. Im damaligen Kindesalter war an Fotoaufnahmen von Liften nicht zu denken, es blieb nur die blasse Erinnerung, dass dort irgendwo mal ein Lift gestanden hat. Vor inzwischen einem Jahrzehnt gab seilbahner den entscheidenden Hinweis, der die alte Erinnerung wieder hochkommen ließ:
2012 hat sich vovo dort ausführlich umgesehen und auch einen Teil der alten und kurzen SL-Trasse begangen: viewtopic.php?f=49&t=43680&p=4842707&hi ... s#p4842707. Nun wollte auch ich nach geschätzt 25 Jahren die blasse Erinnerung mit Farbe füllen und suchte die alte Station auf. Sie ist wirklich leicht zu finden und liegt direkt am Wanderweg.seilbahner hat geschrieben: ↑29.08.2010 - 19:45 Es gab im mittleren Bereich der ESB auf der linken seite mal einen etwas längeren Doppelmayr Schlepper.
Das Talstationsgebäude steht noch und ist ein Freizeitwohnhaus. Wundert mich eigentlich, dass Du das nicht gesehen hast. Kann man gar nicht übersehen. Auch die alte Lifttrasse kann man noch sehen.
Im Zoom: Die Station hat man wie beschrieben wohnbar gemacht, die Umlenkung samt Rollenbatterie dabei erhalten. Leider kommt man sonst nicht näher heran. Alles ist abgezäunt und mit unmißverständlichen Hinweisen versehen, dass Fremde ohne Anmeldung dort nicht willkommen sind.
Das war die kurze Piste.
Von unten sieht man auch nicht mehr.
Leider war dort niemand, den ich nach weiteren Informationen oder einem Passierschein hätte fragen können. Immerhin weiß ich von einem Hochriesbahnmitarbeiter, dass der Lift wahrscheinlich Ebenwaldlift hieß, vom ansässigen Landwirt betrieben wurde und eine gemeinsame Karte mit dem ESL hatte.
Nun denn, von diesem letzten Programmpunkt war es nur noch ein Steinwurf bis zur ESL-Talstation und dem Ende eines kurzweiligen Ausflugs auf die Hochries mitsamt ihres tollen Panoramas.
Das wirkliche Tourende lag dann in Frasdorf, wo auch die Skifahrer nach der langen Hochriesabfahrt final hätten abschnallen müssen: An der Talstation des Sagberglifts. Der Lift ist lange abgebaut, das Gebäude im Tal steht noch, während die Trasse kaum noch zu erkennen ist. Hier vovos ausführliche Begehung von 2008: viewtopic.php?f=32&t=28740#p467988
Der Skitag der Hochriesgäste hätte hier in Frasdorf aber nicht beendet sein müssen. Das Planungsgutachten von 1973 meint dazu:
Mit Kleinbussen wird von hier, besonders an Wochenenden und Nachmittagen, ein Pendel-Verkehr mit Rückführung zum Ausgangspunkt der Bergfahrt, zum Samerberg, zweckmäßig sein.