Weißer Winter, rote Zahlen
Die Gemeinde Feldberg kann und will sich einen Tourismus wie bisher nicht mehr leisten / Ski-Weltcup findet dieses Wochenende dennoch statt
Im Hochschwarzwald gibt es so viel Schnee wie seit Jahren nicht mehr. Das macht die Corona-Pandemie für die Touristikbranche besonders bitter.
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH (DPA)
Von Klaus Riexinger
Auf dem Parkplatz vor dem Feuerwehrhaus der Gemeinde Feldberg ist am Dienstag ein halbes Dutzend Autos so eingeschneit, dass man sie kaum erkennen kann. Dahinter türmt sich eine meterhohe Schneewand. Auf den Straßen im Feldberggebiet sind die Räumfahrzeuge im Dauereinsatz. Kaum haben sie den Schnee von der Straße geschoben, ist sie schon wieder weiß – ein Winter in einem der beliebtesten Tourismusorte Baden-Württembergs wie man ihn sich wünscht. Im Feuerwehrhaus ist der Winter an diesem Abend aber kein Thema. Der Gemeinderat, der hier tagt, muss sich mit Zahlen beschäftigen. Auch und vor allem mit roten Zahlen.
An Wintertagen wie diesen fahren die Menschen in ihren Autos normalerweise in Massen auf den Feldberg. Ab 9 Uhr beginnt sich dann das Parkhaus am Fuß des Seebucks mit seinen 1200 Stellplätzen zu füllen. Früher erstreckte sich das Einzugsgebiet bis in den Raum Stuttgart, heute reiche der Radius bis in die Vorderpfalz und darüber hinaus, sagt Feldbergs Bürgermeister Johannes Albrecht (51), der vor einiger Zeit sogar eine Familie aus Aachen im Parkhaus begrüßte. Die sei frühmorgens aufgebrochen, um mit den Kindern auf dem Feldberg Schlitten zu fahren, berichtet Albrecht.
Der viele Neuschnee in dieser Woche versprach auch beste Bedingungen für die Skicrosser, die sich an diesem Wochenende trotz Corona-Pandemie auf dem Feldberg zum Weltcup treffen. Der Veranstalter des Weltcups, die Hochschwarzwald Tourismus GmbH (HTG), hat größte Anstrengungen unternommen, um die Veranstaltung unter solch schwierigen Bedingungen auf die Beine zu stellen: Der Hochschwarzwald kann Ski-Weltcup auch in der Pandemie und ohne Zuschauer. Der Weltcup der Snowboard-Crosser, der am Wochenende darauf stattfinden sollte, musste allerdings abgesagt werden, weil sich nicht genügend Helferinnen und Helfer für die aufwändigen Hygienemaßnahmen fanden.
Was nicht planbar ist, ist das Wetter. Eigentlich eine Binsenweisheit, doch an diesem Wochenende entscheiden Sonne, Schneefall, Regen oder Nebel über mehr als nur über gute Wettkampfbedingungen. Sie liefern die Kulisse für die Bilder, die bundesweit im Fernsehen von dem Wettbewerb und somit vom Feldberg gesendet werden. Zumindest Befürworter des Weltcups argumentieren damit: Das Ski-Event sei die beste Werbung für den Tourismus auf dem Feldberg und somit eine lohnende Investition. Ein Gemeinderat sprach sogar von einem Gegenwert von mehr als einer Million Euro.
Auch angesichts des klammen Haushalts wird diese optimistische Sichtweise nicht von allen geteilt. Feldberg hat nicht nur den höchsten Gipfel im Land, es hat auch den höchsten Schuldenberg. 6090 Euro lasten auf jedem der knapp 1900 Einwohner. Entsprechend schwer tat sich der Gemeinderat im Sommer mit der Entscheidung, ob Feldberg noch einmal die Gastgeberrolle der Weltcups übernehmen soll. Letztendlich war eine knappe Mehrheit dafür. Für den vom Veranstalter HTG geforderten „Sponsoringbetrag“ von 30 000 Euro fand sich aber keine Mehrheit mehr. Die Kommune will nur für Sachkosten und Dienstleistungen wie das Bedienen der Lifte und das Präparieren der Piste aufkommen. Die Kosten dafür schätzt man im Rathaus auf 120 000 bis 204 000 Euro.
„Wie viel es tatsächlich sind, werden wir dieses Mal ganz genau erfahren“, kündigt Bürgermeister Albrecht an. Weil der Skibetrieb durch den Corona-Lockdown ruht, wird die gesamte Infrastruktur am Wochenende ausschließlich vom Weltcup genutzt. So lässt sich der Aufwand exakt berechnen. Dazu gehören auch Lohnkosten, weil Mitarbeiter der Kommune ihre Kurzarbeit aussetzen müssen.
Auch zur Werbewirksamkeit will sich Bürgermeister Albrecht nicht länger auf Mutmaßungen verlassen, sondern Fakten sprechen lassen. Das lasse sich heute alles über Klickzahlen auf Internetseiten und Buchungen bei Hotels und Gasthäusern messen. Tracking nennt er es. Für die nächste Weltcup-Entscheidung will Albrecht eine solide Zahlenbasis haben. Die Gemeinde soll nicht mehr draufzahlen müssen. Mit Zahlenreihen und Analysen kennt sich der studierte Betriebswirt bestens aus. Er hat 23 Jahre als Manager beim französischen Autokonzern Peugeot gearbeitet, bevor er sich Ende 2018 als Bürgermeister „auf dem Höchsten“ bewarb und im zweiten Wahlgang zwei Drittel der Stimmen erhielt.
Unter Albrechts Vorgänger Stefan Wirbser galt der Ski-Weltcup als Glücksfall, für den man gerne in Vorleistung ging. Der Feldberg spiele mit dem Weltcup in der Champions League, ist eines der Wirbser-Zitate, das in Erinnerung bleibt. Doch seit seinem Tod 2018 und der Wahl von Albrecht als Nachfolger hat ein Umdenken eingesetzt. Albrecht findet, dass in der Vergangenheit zu viel verschenkt wurde. Auch mit Freikarten für den Skilift sei zu großzügig umgegangen worden. Das könne sich die Gemeinde nicht leisten. Was nichts koste, werde auch nicht wertgeschätzt, fügt er hinzu.
Der Haushaltsentwurf, den die Gemeinde in dieser Woche beschlossen hat, spricht Bände. In einem normalen Jahr wäre die Vorlage nicht genehmigungsfähig. Freilich hat Corona die Kommune, die wie Rust fast ausschließlich vom Tourismus lebt, besonders schwer getroffen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Übernachtungen um 30 Prozent eingebrochen, dieses Jahr rechnet Albrecht mit einem Minus von 40 Prozent. Besonders bitter ist in dem endlich wieder schneereichen Winter das verordnete Pausieren des Skibetriebs.
Doch vor Corona sah es auch nicht gut aus. Die Straßen in Feldberg sind in einem so schlechten Zustand, dass das Rathaus, bevor es sich an die Sanierung macht, erstmal eine ausführliche Analyse des Gesamtnetzes in Auftrag gibt. Gestemmt werden kann all dies nur mit Zuschüssen und neuen Krediten.
Kaum besser sieht es bei der Wasserversorgung aus: Die Leitungen sind so marode, dass fast die Hälfte des Wassers versickert, bevor es in den Häusern ankommt. Die Erneuerung kostet die Gemeinde zwölf Millionen Euro, für jede einzelne Investition braucht es aber die Genehmigung des Landratsamtes. Beim Abwassernetz besteht ebenfalls dringender Handlungsbedarf.
Bürger und Touristen werden die Folgen schon bald zu spüren bekommen: Die Kommune will die Wasser- und Abwassergebühren erhöhen, Grund- und Gewerbesteuer sollen ebenso angehoben werden wie die Kurtaxe. Auch die Eigentümer der 450 Zweitwohnungen sollen über eine Steuererhöhung an den Kosten beteiligt werden. Ohne Landeszuschüsse geht es dennoch nicht. Das Landratsamt wird voraussichtlich im Februar über die Rechtmäßigkeit des Haushalts entscheiden. Pandemiebedingte Belastungen wird die Behörde aber berücksichtigen.
„Die Infrastruktur ist jahrzehntelang sträflich vernachlässigt worden“, ärgerte sich Gemeinderat Bruno Schrade bei der Abstimmung am Dienstag. Er und seine Fraktionskollegin Heidemarie Bauer waren die einzigen, die dem Entwurf nicht zustimmten – aus Ärger über den Weltcup. „Das Geld haben wir nicht“, sagt er. Alles andere tragen sie mit.
Damit meint er auch die Feldberggarage, um die 20 Jahre lang gerungen wurde, bis sie 2015 endlich stand, und die nun fast jedes Jahr den Haushalt belastet. Der Investor hat sich von der Gemeinde vertraglich zusichern lassen, dass sie ihm für jeden Liftnutzer pro Tag zwei Euro überweist. Liegt die Summe am Jahresende unter 800 000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer, muss die Gemeinde für die Differenz aufkommen. „Die Gemeinde trägt das komplette Risiko“, kommentiert Albrecht den unter seinem Vorgänger ausgehandelten Vertrag. Nur ein Mal hat es Feldberg bislang geschafft, die erforderlichen 400 000 Liftbenutzer zu erreichen, um nicht zahlen zu müssen. In allen anderen Jahren wurde ein sechsstelliger Betrag fällig. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 30 Jahre. Allerdings ist auch vereinbart, dass die Gemeinde in der Summe nicht mehr als fünf Millionen Euro plus Umsatzsteuer zahlen muss.
Dafür ist nun eine aus der Not geborene Abhilfe für die berüchtigten Verkehrsstaus an Wochenenden in Sicht. Wegen der Pandemie hat die Gemeinde im Sommer ein Konzept entwickelt, wie sich über Online-Buchungen von Parkplätzen die Besucherströme steuern lassen. Damit ließe sich auch künftig die Besucherzahl begrenzen. Besonders in den Sommermonaten wurde der Feldberg von Tagesausflüglern geradezu überrannt.
Eine Besucherlenkung wäre ganz im Sinn des Masterplans für eine nachhaltige Nutzung des Ausflugziels mitten im Naturschutzgebiet. Die Gemeinde will das in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln erarbeitete Nachhaltigkeitskonzept für den Feldberg jetzt forcieren. So soll möglichst bald die in die Jahre gekommene Feldbergbahn am Seebuck durch eine neue, barrierefreie Seilbahn ersetzt werden, um das Ausflugsziel unabhängig vom Schnee ganzjährig attraktiver zu machen. So viel Skifahrer wie möglich auf den Feldberg zu holen, gehört der Vergangenheit an. Selbst der Abbau von Skiliften wird erwogen. Die Gemeinde setzt auf Qualität statt Quantität, auf ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Angebote statt auf Massentourismus.
Dafür nimmt Albrecht auch Konflikte in Kauf. Mit dem Geschäftsführer der HTG, Thorsten Rudolph, hat er sich überworfen, weil der Liftverbund, der aus den Kommunen St. Blasien, Todtnau und Feldberg besteht, die Hochschwarzwald Card der HTG gekündigt hat. Die Karte, die Touristen über beteiligte Hotels und Pensionen die kostenlose oder -günstige Nutzung zahlreicher Attraktionen im Schwarzwald ermöglicht, habe sich für den Liftverbund nicht gerechnet, sagt der Bürgermeister. Für die HTG ist die Kündigung ein schwerer Rückschlag, war das Liftangebot doch die beliebteste Attraktion der Touristenkarte im Winter.
Trotz aller Schwierigkeiten gibt sich Albrecht zuversichtlich. Wenn Corona vorbei sei, starte die Gemeinde durch, sagt er. „Die Menschen kommen dann sofort wieder auf den Berg.“ Er erwartet nichts anderes als einen lang anhaltenden Aufschwung. Ob mit Schnee, ohne Schnee oder wenig Schnee.