Wie Google Earth uns steuert
Von Günter Paul
^^ Die Golden Gate Bridge in San Francisco
Vielleicht sollte man es verbieten, denn es gibt Anzeichen dafür, daß es zur Sucht werden kann. Es macht nämlich einfach Spaß, am Computer-Bildschirm auf Luftaufnahmen den eigenen Wohnort aufzuspüren und mit der Computermaus das Areal, in dem man wohnt, so weit heranzuzoomen, daß man die Autos am Straßenrand erkennt. Der rote Pkw, der dort steht, ist das nicht der Wagen vom Nachbarn? Angeregt, gibt man als nächstes die Stadt Rom ein, in der man vor einiger Zeit ein paar Tage verbracht hat. Dort, das kleine, lauschige Café. Erinnerst du dich noch, wie wir davor saßen und die Frühlingsdüfte geschnuppert haben?
Die Rede ist von Google Earth, dem Programm, das das Internetunternehmen Google erst Ende Juni vergangenen Jahres - seinerzeit noch längst nicht so fortgeschritten wie heute - der Welt vorgestellt hat. Jedermann sollte mit diesem Programm die ganze Erde erkunden können. Dafür waren Satellitenbilder und, zunächst nur von einigen Metropolen, Luftaufnahmen zu einer geschlossenen "Erdoberfläche" zusammengesetzt worden. Und zwar so, daß sie exakt aneinander anschließen. Mit der Computermaus kann man am Bildschirm in dieser Welt reisen. Man kann aber auch den Zielort eintippen, und dann führt die Reise automatisch dorthin.
Luftaufnahmen statt Satellitenbilder
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Als Vorbereitung hatte Google unter anderem das Unternehmen keyhole.com aufgekauft, das mit Luftaufnahmen und Bildern des Satelliten Quickbird handelte, der von allen zivilen Erderkundungssatelliten die Fotos mit der größten Auflösung am Erdboden liefert: rund sechzig Zentimeter. Andere Satelliten, die bei Google Earth verarbeitet worden sind, haben nur einige Meter Auflösung. Die wesentlich besseren militärischen Produkte sind nicht frei zugänglich.
Selbst auf den Bildern von Quickbird sind Autos zwar zu sehen, aber nicht genauer zu erkennen. Das war für das Unternehmen zuwenig. Wenn sich der Nutzer in der Welt von Google Earth ganz zu Hause fühlen will, müssen die Satellitenbilder nach und nach durch die wesentlich genaueren Luftaufnahmen ersetzt werden. Auf dem Weg dorthin sind mittlerweile gewaltige Fortschritte erzielt worden, das Unternehmen hat in größeren Mengen zusätzliche Luftaufnahmen aufgekauft oder selbst in Auftrag gegeben. Deutschland ist in dem Programm inzwischen als erstes Land der Erde, wie es heißt, weitgehend mit Luftaufnahmen abgedeckt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die deutschen Nutzer das Programm am häufigsten aufrufen.
Totale Überwachung ist unmöglich
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Was das Programm nicht liefern kann, ist ein gerade aktuelles Bild der gesamten Erde. Für die Live-Informationen müßten ja Satelliten und Flugzeuge jederzeit jeden Punkt der Erde im Blick haben, wovon selbst die militärische Aufklärung weit entfernt ist. Und selbst wenn - technisch wäre das Unterfangen noch einmal um einige Größenordnungen komplizierter, es würde alle heutigen Grenzen sprengen. Die jüngsten Bilder der "Welt im Computer" sind etwa einen Monat alt. Die ältesten seien, so heißt es bei dem verantwortlichen Unternehmen, nicht mehr als drei Jahre alt. Was nicht ganz stimmen kann. Denn einige Häuser, die schon vor fünf oder zehn Jahren gebaut wurden, sind noch nicht zu sehen. Über solche "Lappalien" redet man bei dem Unternehmen, das global denkt, meist nicht.
Google Earth wäre nicht Google Earth, gäbe es neben dem globalen Überblick nicht die lokalen Funktionen. Zum Beispiel die Einblendung von Straßennamen, die für die Suche nach bestimmten Häusern, Kirchen oder Parks hilfreich ist. Oder die Einblendung von Parks und Freizeitstätten, etwa Sportarenen. Oder in einigen wenigen Fällen - insbesondere bei amerikanischen Metropolen - ein dreidimensionales Modell der Häuser, das man auch in eine Schrägsicht kippen kann. Es ist zwar auch möglich, jede andere Szene zu kippen. Aber da die Erdoberfläche zweidimensional gespeichert ist, bekommt man dadurch nur eine Pseudo-Sicht, keinen Raumeindruck. Die Hochhäuser wirken dabei merkwürdig flach.
Zum Italiener oder Vietnamesen?
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Die jetzt schon mögliche Einblendung von Flughäfen, Tankstellen, Restaurants und Hotels verrät, in welche Richtung das Programm entwickelt werden soll. Man kann sich am Bildschirm die Cafés und Restaurants in der Umgebung samt Adressen und Telefonnummern aufrufen und dann entscheiden, ob man zum Abendessen zum Italiener um die Ecke oder zum exotischeren Vietnamesen geht. Noch ist die Angebotsliste allerdings weit von der Vollständigkeit entfernt.
Wenn der deutsche Nutzer als erster mit einer wesentlich besseren Darstellung seiner heimatlichen Gefilde belohnt wurde, dann wohl auch deshalb, weil Google an solchen "Kunden" interessiert ist. Denn niemand verschenkt etwas, ohne sich davon einen Gewinn zu versprechen. Auf Dauer verspricht man sich von Spezialdiensten, die dann nicht mehr umsonst sind, das lukrative Geschäft. Wenn man über Google Earth zum Beispiel den nächsten Unfallarzt suchen oder die Speisekarte des Vietnamesen studieren möchte.
Schöne neue Welt mit Schattenseiten
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In den Vereinigten Staaten wird dieser Bezahldienst bereits getestet, und auch die eingeblendete Werbung, für die sich das Unternehmen bezahlen lassen wird, ist fest eingeplant. Fast klingt es, als liefere Google eine schöne neue Welt ganz ohne Ecken. Aber konsequent zu Ende gedacht, gibt es auch Schattenseiten. Ein freier Blick von oben kann jedenfalls, selbst wenn er nicht live ist, mißbraucht werden. Die brasilianische Indianerbehörde Funai zieht Luftaufnahmen dazu heran, im Urwaldgebiet am Amazonas nach den "isolierten" Siedlungen von Indianern zu suchen, die noch keinen Kontakt mit Weißen hatten. Gelegentlich reisen Mitarbeiter der Funai in die Nähe solcher Siedlungen und suchen nach Spuren, die auf die Anwesenheit von Menschen schließen lassen. Finden sie solche Spuren, ziehen sie sich wieder zurück, um nicht die Isolation zu brechen - weil ein Kontakt nach allen Erfahrungen ziemlich schädliche Folgen hätte. Mit einem Google Earth, in dem diese Rückzugsgebiete für jedermann anhand detailreicher Luftaufnahmen offenlägen, könnten verantwortungslose Abenteurer auf die Idee kommen, die isolierten Indianer selbst und ohne Genehmigung zu kontaktieren.
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