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Reise zum Merkur

Verfasst: 07.05.2005 - 20:23
von Chasseral
Ich hatte vor, eine Reise zur Venus zu unternehmen; dann entschied ich mich aber kurzfristig, stattdessen den Merkur anzusteuern – zumal man zu diesem mit einer Standseilbahn hinauf fahren kann. :-)

Diese Standseilbahn gehört in Deutschland mit ca. 1.250 Meter Länge schon nicht mehr zu den ganz kurzen und zeichnet sich durch eine technische Besonderheit aus: den vollständig automatisierten Betrieb. Die in Zusammenhang mit dieser Betriebsart stehenden baulichen Besonderheiten bilden einen Schwerpunkt der folgenden Bilder-Doku.

Am 30.4.2005 fuhr ich also nach Baden-Baden und steuerte den Merkur an. Von der B500 geht es zunächst durch Wohngebiete mit Tempo-30-Zone steil bergauf. Die Strassenränder sind zugeparkt, so dass gerade so ein Bus durchpasst. Gegenverkehr wird zum Problem. Am oberen Stadtrand wird die Strasse zu einem besseren asphaltierten Feldweg und man fährt durchs Grüne:

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^^ Hinter den Streuobstwiesen erhebt sich der charakteristische Kegel des Merkur. Links von Turm kann man die Bergstation erkennen und die Trasse erahnen.


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^^ Das Gebäude der Talstation am Buswende- und Parkplatz. Die Schrift am Sims heisst …


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^^ „Bahnhof Merkurwald“


Der Billettschalter ist besetzt und dient gleichzeitig als Kiosk für den Verkauf von irgendwelchem Krimskrams. Wenn der Billett-Schalter ein Automat wäre, würde man vermutlich überhaupt kein Personal zu Gesicht bekommen.

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^^ Blick durch die Scheibe des Vorraums auf das Gleis


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^^ Der Wagen fährt ein


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^^ Da steht das gute Stück. Rechts kann man die Perron-Trennwand erkennen. Diese hat folgenden Zweck:

Der Perron ist nicht überwacht und es gibt auch keine Wagenführer. Damit es bei der Einfahrt des Wagens nicht zu einer Gefährdung der Fahrgäste kommt, hat man diese Trennwand zwischen Perron und Gleiskörper errichtet. Die Trennwand hat eine Schiebetür, welche sich erst dann öffnet, wenn der Wagen eingefahren ist und die Schiebetür des Wagens ebenfalls geöffnet ist. Durch dieses „Loch“ können die Fahrgäste dann in den Wagen „schlüpfen“. Dieses System ist Vergleichbar mit dem heutiger Personen-Aufzüge. Auch dort gibt es eine Schachttür und eine Fahrkorbtür, die sich nur gemeinsam öffnen. Das gleiche passiert hier mit Perrontür und Wagentür.

Den Perron erreicht man durch eine Drehtür mit Billettlesegerät, wie es in vielen Hallenbädern Verwendung findet.


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^^ Hier sieht man die Trennwand mit der offenen Perrontür von aussen. Die ebenfalls geöffnete Wagentür gibt den Blick in das Innere des recht modernen Wagens frei. Am Winkel zwischen Perrontür und Wagentür kann man erkennen, dass die Steigung des Trassees im Talstationsbereich deutlich geringer ist als die durchschnittliche Steigung. Die Trasse beginnt mit einer Steigung von 26 %. Diese steigt bis zur Bergstation stetig bis 52 % an.


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^^ Herstellerschild des Wagens. Hersteller der Anlage beim Totalumbau Ende der 1970er Jahre ist Von Roll.


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^^ Blick aus dem Wagen über die unterste Sitzreihe und den Vorraum zu den Drehtüren. Der Billettschalter befindet sich ausserhalb. Man sieht, dass es keinen Führerstand gibt.


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^^ Der Material-Transportwagen, der neben dem Gleis steht


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^^ Blick nach oben auf die Strecke. Auch hier gibt es keinen Führerstand.


Im Wagen gibt es eine Bestätigungstaste, mit der man seinen Abfahrwunsch signalisieren kann. Bei normalem Betrieb fährt der Wagen jedoch nach dem Fahrgastwechsel sofort los. Taktzeit ist 6 Minuten.


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^^ Hier sind wir schon oberhalb der Ausweichen, wie an den beiden Seilen zu erkennen ist. Oberhalb der Brücke sieht man die Bergstation; auf den ersten Blick erscheint es, als würde sie auf der Brücke sitzen, aber das täuscht. Auch sind hier noch mehrere Brücken zu durchqueren, dies ist aber durch die Perspektive nicht zu erkennen. Man sieht auch dass das Trassee zur Bergstation hin nochmals deutlich steiler wird. Die Stationsausfahrt und die Wagenbegegnung habe ich gefilmt – und dummerweise die Dateien gelöscht :-(


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^^ Hier sieht man schon mal 2 Brücken.

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^^ Der Bahnhofs-Vorraum mit Drehtüren in der Bergstation

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^^ Blick auf Baden-Baden und die Rheinebene


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^^ Bergstations-Perron von aussen


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^^ … mit Einfahrt eines Wagens


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^^ Bergstations-Perron innen mit Trennwand und Perrontür. Oben der Hinweis auf den Selbstfahrbetrieb. An der offenen Wagentür erkennt man die überdurchschnittliche Steilheit des Trassees.


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^^ Der Antrieb! Der offizielle Zugang ist verschlossen, aber von der Toilette des benachbarten Restaurants aus kommt man rein. :-)


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^^ Wir verlassen wieder die Bergstation.


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^^ Dank Tele-Einstellung erscheint die Bergstation noch näher als sie ist.


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^^ Blick nach unten und auf Baden-Baden


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^^ Wieder eine Brücke – respektive Tunnel. Dahinter ist bereits die obere Abt’sche Weiche zu erkennen.


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^^ Blick aus dem Tunnel auf das Schienen-Kunstwerk der oberen Abt’schen Weiche. Unten naht der bergauf fahrende Wagen …


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^^ … und naht … und schon wieder eine Brücke :-)


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^^ … da isser endlich. Schöne Kurve mit schrägen Rollen in der Ausweiche :lol:


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^^ Untere Abt’sche Weiche


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^^ Talstation in Sicht!


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^^ Abschied vom Merkur: Die Erde hat uns wieder! :-)

Verfasst: 07.05.2005 - 20:28
von k2k
Ah, da ist mir einer zuvor gekommen. Das steht ziemlich weit oben auf meiner To Do-Liste für den kommenden Sommer, radfahrtechnisch gesehen... :D

Verfasst: 08.05.2005 - 03:34
von TPD
Damit es bei der Einfahrt des Wagens nicht zu einer Gefährdung der Fahrgäste kommt, hat man diese Trennwand zwischen Perron und Gleiskörper errichtet. ...
Solche Trennwaende werden auch bei U-Bahnen verwendet.

Der offizielle Zugang ist verschlossen, aber von der Toilette des benachbarten Restaurants aus kommt man rein.
:lol: Habe ich das richtig verstanden, dass Du den Maschinenraum betreten konntest oder war das nur ein Fenster ?

Verfasst: 08.05.2005 - 07:23
von Dresdner
Die beschriebenen Trennwände hat auch die unterirdische Dorfbahn in Serfaus.
Pendolino

Verfasst: 08.05.2005 - 10:05
von Chasseral
TPD hat geschrieben:
Der offizielle Zugang ist verschlossen, aber von der Toilette des benachbarten Restaurants aus kommt man rein.
:lol: Habe ich das richtig verstanden, dass Du den Maschinenraum betreten konntest oder war das nur ein Fenster ?
Ich war drinnen im Maschinenraum. Die Tür unten von der Toilette aus war erstaunlicherweise offen. :wink: Der normale Eingang vom Bahnhofsgebäude aus war verschlossen.

Verfasst: 08.05.2005 - 13:26
von jwahl
Moin
Tolle Bilder, die Kindheitserinnerungen wach werden lassen. Danke dafür
Jakob

Verfasst: 08.05.2005 - 17:06
von flo
Ich hätte da jetzt eine blöde Frage. Wie funktioniert das mit der Ausweichstelle genau. Werden die Weichen elektrisch gestellt oder fädeln sich die Wagen von selbst in das richtige Gleis ein?

Verfasst: 08.05.2005 - 17:24
von Ram-Brand
Soweit ich weiß ist ein Gleis das Führungsgleis und das andere trägt nur den Wagen, wobei das Rad führ dieses Gleis breiter ist.

D.h. es fähr auch über den Abstand für die Seilführung.
Das Führungsrad hat auf beiden Seiten eine Bordscheibe.


^^ Stimmen meine Erklärungen soweit? :)


P.S: Wenn man auf die Abnutzung der Schienen schaut, sieht man ungefähr die Fahrspur des Wagens.

Verfasst: 08.05.2005 - 17:59
von Dresdner
So erklärt es Günter Kretzschmar, BL der Oberweißbacher BB, auf seiner HP:
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So funktioniert die Abt’sche Weiche ohne bewegliche Teile. Der Personenwagen hat links seine Räder mit doppeltem Spurkranz. Er wird durch den linken Schienenstrang geführt. Seine “Walzen-Räder” auf der rechten Seite können ohne Mühe die Lücken für das Seil innerhalb der Weiche überrollen.
Bei der Güterbühne ist die Anordnung der Räder entgegengesetzt. Sie wird durch den rechten Schienenstrang geführt und hat links ihre “Walzen-Räder”.
Foto: G. Kretzschmar
Pendolino

Verfasst: 08.05.2005 - 18:09
von flo
Ich habs kapiert! Danke! :D

Verfasst: 08.05.2005 - 21:13
von Chasseral
Genau so funktionierts!

Deshalb kann eine SSB auch nie so ruhig fahren wie eine normale Eisenbahn. Denn bei der SSB führt das Führungsrad mit seinem doppelten Spurkranz das Rad wirklich. Die Spurkränze reiben immer wieder an den Schienen.

Bei der normalen Eisenbahn berühren die Spurkränze die Schienen normal nicht. Die Radreifen sind leicht kegelförmig mit einem etwas grösseren Durchmesser auf der Seite der Spurkränze - also innen. Durch den variablen Umfang des Radreifens ergeben sich auch variable Umfangsgeschwindigkeiten, die den Radsatz lenken und in der Gleismitte stabilisieren. Eine minimale Ablenkung aus der Mittellage führt aufgrund der geänderten Umfangsgeschwindigkeiten zu einem zurücklenken in die Gleismitte. So lenkt der Radsatz auch selbstständig durch Kurven ohne durch den Spurkranz geführt zu werden. Der Spurkranz ist nur quasi eine "Notsicherung".

Bei Trambahnen tritt der Spurkranz aufgrund der engen Radien öfters "in Aktion" und verursacht entsprechende Geräusche. Ausserdem führt der Spurkranz Trambahnen über Flachrillen-Weichen. Aber jetzt sind wir schon ganz schön OT. :wink:

Verfasst: 08.05.2005 - 21:17
von GMD
Die Abt'sche Ausweiche, einer dieser Geniestreiche im Seilbahnwesen!

Interessanter Bericht, man dankt!

Verfasst: 09.05.2005 - 18:31
von Dresdner
Interessant ist bei der Betrachtung dieses Aspekts, dass die Abtsche Weiche bei einer Anlage auch mehrfach genutzt werden kann.
Die Oberweißbacher Bergbahn besitzt bekanntlich in der TS zwei getrennte Bahnsteige für den Personenwagen und die Güterbühne. Um die jeweiligen Wagen an den "richtigen" Bahnsteig zu bekommen, trennen sich die Wege von PW und GB vor der TS, die Fahrtwegtennung erfolgt wie im Eingangsprofil der Abtschen Weiche.
Zudem ist eine "klassische Abtsche Ausweiche" in der Streckenmitte vorhanden.
Konstruktion in der TS:
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Konstruktion in der Streckenmitte:
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Fotos: G. Kretzschmar
Pendolino