Warnruf vom Branchen-Primus
Verfasst: 21.04.2006 - 07:11
Warnruf vom Branchen-Primus
«Entweder Top-Gebiets-Status aufgeben oder neue Gäste gewinnen!»
Um die Perspektiven der Oberengadiner Bergbahnen stehts nicht zum besten. So deutlich wie an der Aktionärsversammlung der Celeriner Bergbahnen AG kams bislang noch nie zum Ausdruck: Die Fahrgäste bleiben weg. Gegenwehr ist angesagt.
Dass das vergangene Geschäftsjahr kein gutes gewesen war, wussten die 217 Aktionäre, die am Dienstag zur Generalversammlung der Celeriner Bergbahnen AG nach Marguns gekommen waren, schon aus dem Jahresbericht. Dass der am Vortag zu Ende gegangene Winter noch schlechter als der Vorjahreswinter gewesen war, erfuhren sie vom Verwaltungsrats-Präsidenten Luis A. Wieser. Und auch dessen Rundschau auf die gesamte Oberengadiner Bergbahnen-Befindlichkeit zeigte trübe Perspektiven.
«Wir waren nach 2004/05 überzeugt, den Tiefpunkt erreicht zu haben», sagte Wieser vor den Aktionären, «aber dem war nicht so: Der eben abgeschlossene Winter ist deutlich schlechter!» Die Frequenzen auf den Celeriner Anlagen seien um 10% tiefer als im Vorjahr, der Restaurationsertrag um 4%. Im weitaus weniger ertragsstarken Betrieb auf Muottas Muragl habe man zwar +21% Frequenzen und +12% Gastronomieumsätze registriert, aber dies im Vergleich zu einem «katastrophalen» Vorjahr. Insgesamt schliesse die CBB AG den Winter 2005/06 mit einem Minus von 6% bzw. einer Ertragseinbusse von über einer Million Franken gegenüber dem bereits mageren Vorjahr. Schlechte Schneeverhältnisse, zu hohe Temperaturen für die Schneeproduktion anfangs Winter und später zu wenig Wasser, dann sibirische Kälte seien allerdings nur die vordergründigen Ursachen.
«Massiv überinvestiert»
Rund 300 Mio. Franken hätten die Oberengadiner Bergbahnen zwischen 1986 und 2004 investiert und die Transportkapazitäten um 20% erhöht, «aber die Frequenzen nahmen nicht zu. Im Gegenteil: Die Gästetage in den Skigebieten sind rückläufig», sagte Wieser. Zwar sei der Umsatz in den letzten zehn Jahren um 8,7% gestiegen und der Ertrag pro Gästetag um 35%, aber Ursache dafür seien ausschliesslich die gemachten Preisanpassungen. Der jährliche Cash-Flow aller in der BEST zusammengeschlossenen Bergbahnen liege bei 15,7 Mio., sagte Wieser, der als BEST-Präsident die Zahlen bestens kennt. Das sei zwar ein Plus von 2,4 Mio. innerhalb der letzten zehn Jahre, aber im gleichen Zeitraum seien rund 120 Mio. Franken investiert worden. Die Baurechnung aller Anlagen steht gemäss Wieser bei 440 Mio. Franken; ein Wert, der langfristig erhalten werden müsse, «aber mit nur 15,7 Mio. jährlichem Cash-Flow ist das nicht möglich!» Wieser brachte es vor den ziemlich aufgeschreckten Aktionären auf den Punkt: Im Vergleich zur Ertragslage habe man «massiv überinvestiert».
Abbrechen oder neue Gäste holen
«Jetzt müssen wir handeln. Sonst stehen wir in 10 bis 20 Jahren vor Ruinen!», sagte Wieser. Die Bergbahnen im Oberengadin im Allgemeinen und die Celeriner Bergbahnen im Besonderen stünden vor der Wahl, entweder die Kapazitäten der Nachfrage anzupassen oder neue Alpinsportler zu gewinnen. «Der Nachfrage anpassen» heisst nach Wiesers Leseart der Anlagenabbruch. «Damit würden wir aber den Status als Top-Wintersport-Region aufgeben und künftig nur noch unter ‘ferner liefen’ figurieren», sagte Wieser. Oder man bemühe sich um neue, junge Gäste und fokussiere sich dabei wieder auf den Alpinsportler. Die Multioptionalität, die der Region bestenfalls schöne Ratings beschere, werde nicht bezahlt; das zentrale Grundangebot sei und bleibe das Skifahren und Snowboarden.
Entsprechend müssen sich die Bergbahnen im Marketing «massiv» anstrengen. Das koste viel Geld und Entlastungen andernorts seien daher nötig. Er komme sich mit der von der CBB seit Jahren postulierten Forderung nach Beiträgen der Öffentlichkeit an die Beschneiung vor wie eine endlos drehende Schallplatte, sagte Wieser. Immerhin sei jetzt zusammen mit der Gemeinde Celerina ein erfolgversprechendes Modell in Arbeit.
Eine «Infra AG Celerina»?
Gemeindepräsident Christian Brantschen erkennt eine veränderte Situation mit Fragen grundsatzstruktureller Art, der gemeinsam zu begegnen sei, weil man «im gleichen Boot» sitze, wie er vor den CBB-Aktionären sagte. Noch seien die Ressourcen da, um nach eigenen Vorstellungen agieren zu können, statt von den fortgeschrittenen Fakten zur blossen Reaktion gezwungen zu werden. In diversen Themenbreichen seien «längst überfällige Hausaufgaben» zu machen, sagte Brantschen. Im Fokus hat er primär die Schneeanlagen: «Die Schneesicherheit ist nicht mehr gegeben. Ohne Schnee ist das Engadin verloren. Entsprechend gehören Schneeanlagen zur Infrastruktur, von der alle profitieren.»
Darum hätten sich auch alle daran zu beteiligen. Brantschen schwebt dafür eine Dienstleistungsgesellschaft vor, deren Aufgabe darin bestünde, die Schneesicherheit zu gewährleisten. Diese «Infra AG» hätte sich ausser auf die Pisten auch auf die Loipen, die Eisplätze, die Bobbahn und den Cresta Run zu erstrecken. Sie übernimmt und betreibt nach der Vision von CBB und Celeriner Gemeindevorstand die Schneeanlagen für alle Kunstschneenutzer. Alimentiert würde sie von allen Profiteuren, die sie anteilmässig mitzufinanzieren hätten. Dazu gehören neben den Bergbahnen auch die öffentliche Hand. Damit könnten sich die Bergbahnen nach Brantschens Ansicht künftig finanziell wie operationell wieder vermehrt ihren Kernaufgaben widmen.
Die für eine «Infra AG» nötigen Massnahmen und Vereinbarungen will Brantschen «in absehbarer Zeit» den Celeriner Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern vorlegen. Immerhin gehe das «nicht ganz ohne Kosten. Aber es ist gut investiertes Geld», sagte Brantschen. «Diese Hausaufgabe zu lösen wäre die Basis für einen zukunftsgerichteten Tourismus».
Die Aktionäre billigten Jahresbericht und Jahresrechnung diskussions- und oppositionslos und stimmten der Ausschüttung einer 15-prozentigen Dividende zu.
Quelle: Engadiner Post Autor: Urs Dubs
Ort: 7500 St. Moritz
Datum: 20.04.2006
Rubrik: Tourismus