Südtirols letzte Schmalspurbahn: Lob der Langsamkeit
Verfasst: 02.08.2007 - 18:58
Quelle: FAZSüdtirols letzte Schmalspurbahn: Lob der Langsamkeit
Von Helmut Luther
^^ Maximal mit Fahrradgeschwindigkeit rucktelt sie dahin
Der Zugführer Hansjörg Alber liebt seinen Beruf und freut sich jedes Mal, wenn er seinen Gästen vorschwärmen kann, dass er einen der bezauberndsten Arbeitsplätze im ganzen Land habe. Dabei hat seine Zugstrecke auf den ersten Blick nichts Besonderes an sich, im Gegenteil. Sie liegt denkbar abgeschieden, dient gerade einmal achthundert Menschen am Tag als Beförderungsmittel und endet schon nach lächerlichen sieben Kilometern. Trotzdem wird der Zugchauffeur von vielen seiner Berufskollegen beneidet, und Touristen aus aller Welt greifen zu ihren Fotoapparaten, wenn sie am Bahnsteig warten und Alber mit seinem vierachsigen Allioth-Triebwagen, Baujahr 1910, gemächlich angetrudelt kommt. Denn er ist Angestellter bei der Rittnerbahn, der letzten Schmalspurbahn in Südtirol, die zwischen den beiden Rittner Hauptorten Oberbozen und Klobenstein pendelt. In diesem August feiert das „Rittner Bahndl“ seinen hundertsten Geburtstag, und es gibt eine Menge Leute, die nicht nur zu diesem Anlass behaupten, dass die letzte Bahn ihrer Art in Südtirol zum Glück auch die allerschönste sei.
Warum das so ist, begreift der Besucher sofort, kaum dass er die von Bozen nach Oberbozen führende Seilschwebebahn verlassen hat. Denn man betritt eine andere Welt, wenn man hier, tausend Höhenmeter und zwölf Fahrtminuten über der Südtiroler Landeshauptstadt, die paar Meter zum Schmalspurwurm hinüberspaziert. Der Kontrast könnte größer nicht sein: Dort das aus allen Nähten platzende, tief unten in der Talsohle eingeklemmte Bozen, hier das herrlich weite, hundert Quadratkilometer große Hochplateau des Ritten. Es ist ein grünes Refugium über der porösen, kupferroten Bozner Porphyrplatte mit ebenmäßigen Höhenrücken, dunklen Waldlandschaften und blühenden Almwiesen, über die ein silbriger Schatten huscht, sobald sich am sonst makellosen Sommerhimmel eine harmlose Kumuluswolke aufbauscht. Später am Tag, wenn die Ausflügler fort sind, ist es hier vollkommen still. Man hört nur das Zirpen der Grillen und aus den Hausgärten ab und zu das leise Rauschen der Laubbäume im aufkommenden Abendwind.
Zur luftigen Höhe des Rittens hinauf
^^ Manchen ist sogar das zu schnell: Die Rittnerbahn bei Wolfsgruben
Im Grunde genommen ist es auf dem Ritten noch genauso wie vor hundert Jahren - wie an jenem 13. August des Jahres 1907, als „das Bahndl“ seine Jungfernfahrt machte und sich die besseren Bozner über die neue Schnellverbindung in ihre geliebte Sommerfrische freuen konnten. Als eine Meisterleistung der Technik gepriesen, dampfte die Bahn damals mit Hilfe eines Zahnradantriebes direkt vom Stadtzentrum über den Bozner Bahnhof und die mediterranen Südhänge von St.Magdalena bis zur luftigen Höhe des Rittens hinauf. Im Jubiläumsjahr will man mit festlichen Veranstaltungen an diese Sternstunde der lokalen Fremdenverkehrsgeschichte anknüpfen. Denn es waren die Bozner Tourismusunternehmer, die schon lange ihre Fühler in Richtung Ritten ausgestreckt hatten und gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts darauf drangen, endlich das schlummernde Kapital auf ihrem Hausberg zu heben. Man entschied sich schließlich für ein Projekt nach dem Vorbild der Schweizer Bergbahnen, und schon nach vierzehn Monaten war die Verbindung fertig.
Die Rechnung der Investoren sollte ebenso rasch aufgehen. In den Hauptorten Klobenstein, Wolfsgruben und Oberbozen herrschte Goldgräberstimmung. Grandhotels wurden errichtet, bald kamen die Feriengäste in immer größeren Scharen aus ganz Europa angereist, um mit der damals modernsten Zahnradbahn der Habsburgermonarchie zum Kuren auf die Aussichtsterrasse hoch über Bozen zu fahren. „Hier ist es göttlich schön und behaglich“, schrieb etwa Sigmund Freud im September 1911 an seinen Schüler C.G. Jung, als er im Hotel Post in Klobenstein logierte und dort am ersten Kapitel von „Totem und Tabu“ schrieb.
Triebwagen mit Monarchiefluidum
^^ Im August feiert das „Rittner Bahndl” seinen hundertsten Geburtstag
Den Höhenrücken erreicht man seit Anfang der siebziger Jahre über eine gut ausgebaute, unweit der Brennerautobahn abzweigende Bergstraße. Die alte Zahnradbahn wurde auf dem Teilstück zwischen Stadtzentrum und Oberbozen im Sommer 1966 nach einem tragischen Unfall mit mehreren Toten durch eine Seilbahn ersetzt. Es waren für das „Bahndl“ schwierige Jahre des ungehemmten Fortschrittsglaubens, als Zweifel über die Zeitgemäßheit eines solchen Fortbewegungsmittels laut wurden. Doch zum Glück sind diese Stimmen mittlerweile verstummt. Und heute lieben die Einheimischen den Schmalspurwurm genauso wie die vielen Touristen, die ihn inzwischen als Freilichtmuseum entdeckt haben - vielleicht weil das betagte Fahrzeug sie alle an jene glücklichen Zeiten erinnert, als das Ziel des Reisens noch nicht im Weg, sondern im Ankommen lag. Denn wirklich angekommen fühlt man sich in Klobenstein oder Oberbozen eben erst, wenn man den dort bereitstehenden Triebwagen mit seinem Habsburger Monarchiefluidum erklimmt, um darin den wunderbaren Augenblick zu erwarten, in dem sich plötzlich hinter einer Gleisbiegung die Zacken der Dolomiten abzeichnen.
Die leichte Enttäuschung, wenn nicht der alte Triebwagen Nr. 2, sondern ein ziemlich moderner Stahlkasten aus Deutschland namens „Esslinger TW“ im Bahnhof von Klobenstein wartet, verfliegt im Nu angesichts der grandiosen Landschaft, in die der Zug mit moderaten dreißig Stundenkilometern hineinfährt. Er taucht in einen dunklen Lärchenwald und holt dann Schwung für den kurzen Anstieg zur Haltestelle Rappersbühel. Vor der einarmigen Zugschranke hält ein Bauer mit seinem Traktor, über dessen Anhängerwand die blonden Mähnen zweier Haflinger herausragen. Hell und friedlich wie eine alte Fahrradklingel ertönt das Warnsignal, sobald der Triebwagen einen ungesicherten Feldweg überquert. Hölzerne Bahnhäuschen stehen an der Strecke, der Esslinger verlangsamt die Fahrt, und jetzt ist auf einem verwitterten Holzschild „Wolfsgruben“ zu lesen. Der gleichnamige See, ein paar Gehminuten von der Haltestelle entfernt, wurde im achtzehnten Jahrhundert von den Bauern der Gegend als Wasserreservoir für ihre Mühlen, Sägen und Schmieden angelegt. Heute dient er im Sommer zur Bewässerung der Felder, im Winter tummeln sich Eisläufer auf ihm.
Die feuerrote Eisenbahn
Das Panorama gibt nun den Blick frei auf die Gipfel der östlichen Dolomiten. Gegenüber auf der anderen Seite des Eisacktales thront der Pyramidenkegel des Schlernmassives. Weiter links strahlen die schneebestäubten, wie Tobleronezacken aneinandergereihten Spitzen der Sella- und Geislergruppe. Und da, in Richtung Süden, die bizarr geformten Vajolettürme und die hellroten, senkrecht aufragenden Felswände des Rosengartens. Steil fällt der Blick über grüne Weinberge und bewaldete Felssporne bis hinunter zur finsteren Eisackschlucht, durch die sich die endlosen Autokolonnen winden. Und ganz hinten am Horizont breitet sich, in Dunst und Hitze gehüllt, die venezianische Tiefebene aus. Doch die Fahrt dauert viel zu kurz. Hinter einem von knorrigen Buchen gesäumten Hügel schimmert schon die metallene Zwiebelhaube der Pfarrkirche von Oberbozen, und gleich darauf hält der Zug vor dem schieferbedeckten Bahnhofsgebäude.
Für die Eisenbahnnostalgiker wurde im Obergeschoss des Bahnhofs von Oberbozen ein kleines Museum eingerichtet. Frau Huber, die Angestellte des im gleichen Haus untergebrachten Tourismusbüros, führt den Besucher über die knarrenden Holztreppen ins obere Stockwerk. Das Herzstück des Rittner Bahnmuseums ist eine bunte Sammlung originalgetreuer Eisenbahnmodelle. Frau Huber erklärt die Bewandtnis der einzelnen Stücke, die in liebevoller Handarbeit entstanden sind und nun, in Vitrinen aufbewahrt, einen großen Raum füllen. Die feuerrot lackierten Esslinger-Modelle fertigt ein pensionierter Bahnangestellter auf Bestellung an. Mindestens achthundert Euro muss man für so ein Prachtexemplar hinblättern, aber unter Eisenbahnfreunden, sagt Frau Huber, seien die Dinger sehr gefragt. Es sei schon erstaunlich, findet sie, was es auf dieser Welt für Hobbys gebe.
Hundert Jahre Rittnerbahn
Rittnerbahn: Die Schmalspurbahn verkehrt im Stundentakt zwischen Klobenstein und Oberbozen. Die erste Abfahrt ist in den Sommermonaten um 6.50 Uhr ab Klobenstein, die letzte um 20.35 Uhr ab Oberbozen. Die Rückfahrkarte kostet 3,50 Euro, Kinder unter sechs Jahren sind frei. Die Gondel zwischen Bozen und Oberbozen fährt im Sommerhalbjahr zwischen 7.10 Uhr und 20.20 Uhr, Hin- und Rückfahrt kosten gleichfalls 3,50 Euro, Kinder unter sechs Jahren sind frei.
Informationen: Tourismusverein Ritten, Telefon: 0039/0471/356100, E-Mail: info@ritten.com, Internet: www.ritten.com und www. rittnerbahn.suedtirol-reisen.com.
Rittnerbahn: Die Schmalspurbahn verkehrt im Stundentakt zwischen Klobenstein und Oberbozen. Die erste Abfahrt ist in den Sommermonaten um 6.50 Uhr ab Klobenstein, die letzte um 20.35 Uhr ab Oberbozen. Die Rückfahrkarte kostet 3,50 Euro, Kinder unter sechs Jahren sind frei. Die Gondel zwischen Bozen und Oberbozen fährt im Sommerhalbjahr zwischen 7.10 Uhr und 20.20 Uhr, Hin- und Rückfahrt kosten gleichfalls 3,50 Euro, Kinder unter sechs Jahren sind frei.
Informationen: Tourismusverein Ritten, Telefon: 0039/0471/356100, E-Mail: info@ritten.com, Internet: www.ritten.com und www. rittnerbahn.suedtirol-reisen.com.
Text: F.A.Z., 19.07.2007, Nr. 165 / Seite R2
Bildmaterial: wikimedia