Was ist, wenn der Schnee ausbleibt?
Verfasst: 14.02.2004 - 09:56
Aus dem Kurier
Was ist, wenn der Schnee ausbleibt?
Wie Skiorte ihre Zukunft planen: Mehr Nord-Pisten, Schneekanonen oder Bäderzentren
Vom 14.02.2004
Wir müssen davon ausgehen, dass in 30 Jahren im Ort kein Schnee mehr liegt." Roland Huber, Tourismuschef von Adelboden, äußert eine Befürchtung, die für viele Wintersportorte gilt. Ursache ist die globale Klimaveränderung. Fachleute, wie Hansruedi Müller vom Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Uni Bern, sind sich einig - er rechnet damit, dass die Schneegrenze bis zum Jahr 2020 bis zu 300 Meter ansteigt. Nur mehr 63 Prozent der heutigen Skigebiete wären schneesicher. Tiefere Orte müssten sich über kurz oder lang neu orientie-ren. Die schneearmen Winter 1988 bis 1990 und 2001/02 mit Verlusten bis zu 80 Prozent sind unvergessen.
Beispielsweise im 1353 Meter hoch gelegenen Adelboden. Noch läuft es prächtig. Der Ort lebt zu rund 80 Prozent vom Winter. Alljährlich trifft sich am Chuenisbärgli die Alpin-Elite zum Weltcup-Riesenslalom. 55 Lifte erschließen bis nach Lenk im Simmental mehr als 170 Pistenkilometer. Damit haben beide Orte zusammen - so der ADAC-SkiGuide - eines der größten Skireviere im Berner Oberland.
Davon will sich der Schweizer Ort jedoch ebenso wenig blenden lassen, wie ein anderes riesiges Skigebiet, der österreichische Skizirkus zwischen Leogang, Saalbach und Hinterglemm. Die Verantwortlichen beider Regionen fragen sich bereits heute: "Was ist, wenn der Schnee ausbleibt?" Doch wie unterschiedlich sind die Zukunftspläne? Während Adelboden nicht mehr allein auf den Skitourismus setzen will, lautet das Motto der Österreicher: "Erschließung der Nordhänge". "Ganz wichtig wird für uns der Ausbau der Bergbahnen auf den Nordseiten," erklärt Agnes Koch, Tourismuschefin des Pinzgauer Saalachtals. "In den Mittelstationen wollen wir künftig den selben Komplett-Service wie im Tal mit Skischule, Skiverleih, Sportgeschäft und Restaurant anbieten." Unverzichtbar seien auch Schneekanonen. "Wir brauchen", so der Saalbacher Bürgermeister Peter Mitterer, "extrem leistungsfähige Geräte, die in zwei Tagen wichtige Abfahrten 20 Zentimeter hoch beschneien." Die Region hat bereits einiges investiert, Hinterglemm allein rund 3,5 Millionen Euro.
Adelboden im lieblichen Engstligental plant völlig anders. "Wir wollen uns neu positionieren", meint Marketingleiter Stefan Zingg. Der 1950 Meter hohe Tschenten, beliebter Hausberg der Einheimischen, wird nicht mit dem Skigebiet verbunden. "Dieser Anschluss würde," so Zingg, "unser Gebiet erheblich aufwerten". Doch der Verbindungshang leide wegen seiner Südlage bereits heute oft unter Schneemangel. Die Gemeindeväter von Adelboden stecken dieses Geld lieber in ihr Zukunfts-Projekt, die bisher eher kümmerlich plät-schernden Mineralwasser-Quellen kräftig sprudeln zu lassen. Ein Bäderzentrum mit Erlebnisbad soll entstehen: Wohlfühl-Urlaub für die Gäste von morgen. Deshalb haben sie Ro-land Huber geholt. Huber ist Bäderspezialist. Das von ihm in Bad Scuol errichtete Thermalbad ist zur wichtigen Einnahmequelle geworden. "In Adelboden soll das Wasser das zweite Standbein werden," meint Huber. "Wasser ist für mich ein Ganzjahresthema."
Eigentlich macht der Ort damit einen Schritt zurück in die Vergangenheit. Ursprünglich war Adelboden, so der Schweizer Reise und Kur-Almanach von 1902, ein namhafter Kurort mit reiner, stärkender Alpenluft für nervöse, erholungssuchende Menschen. Das Adelbodener Mineralwasser, das "dank seines hohen Gehalts an Mineralien dem Aufbau der Knochen dient und wegen der verdauungsfördernden Wirkung sehr zum allgemeinen Wohlbefinden beiträgt" (Züricher Labors Veritas), soll das alte Image neu beleben. Zingg: "Wir besinnen uns auf unsere Wurzeln".
Mit dem Kauf eines 16300 Quadratmeter großen Grundstücks im Ort, auf dem auch ein Eissportzentrum sowie eine Mehrzweckhalle für Kongresse und Seminare entstehen sollen, ist der erste Schritt getan. Im vergangenen Sommer wurden die Wünsche und Bedürfnisse von Gästen und Einheimischen erforscht. Auch der Pfarrer wurde gefragt. "Der ist wichtig," so Huber, "weil gerade die Älteren auf ihn am ehesten hören." Bis zum Frühjahr 2004 will Huber nun, wie er sagt, "ein konkretes, wirtschaftlich tragfähiges Projekt ausarbeiten und der Bevölkerung vorstellen". Im Thema "Wasser und Eis" sieht der Tourismusdirektor den wichtigsten Angebotsteil.
Für das Projekt müssen, so schätzt Huber, 30 bis 50 Millionen Schweizer Franken aufgebracht werden. Doch über die Finanzierung könne Marketingleiter Zingg zufolge erst diskutiert werden, wenn alles klar ist. Als Geldgeber war eine Englische Versicherungsgruppe im Gespräch. Adelboden ist in Großbritannien sehr populär. Wie viele andere bekannte Tourismusorte der Schweiz haben englische Pioniere auch die Region um Adelboden Ende des 19. Jahrhunderts für den Tourismus entdeckt.
Tourismuschef Huber geht davon aus, dass in fünf bis sieben Jahren alles stehen. "Dann können wir uns wie früher als Ganzjahresferienort positionieren." Und sich vielleicht eines Tages sogar mit dem Attribut Bad schmücken? Henno Heintz