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Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

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Kris
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Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

Beitrag von Kris »

Bevor Google Photos mich am kommenden 20. Juli 2021 erinnern wird, dass 365 Tage zuvor ich in Macugnaga einige "organische" Tage verbrachte, poste ich doch bereits vorweg eine Erinnerungsstrecke dazu. Ich bin kein Storyteller, das kleine Mikroabenteuer auf der Suche nach den Gletscherliften auf helvetischer Seite entwickelte sich halt wie üblich sehr angenehm.

An und für sich ist quasi jedes Bild aus dem Walsertal eine eigene Geschichte. Die Natur des Hochgebirgstales, in welches die Gletscher bis 2100m Seehöhe hinabfließen sowieso. Ich meine jedoch dieses Ensemble aus vergangener Infrastruktur-Moderne, welches sich tapfer dem stets hinter der Ecke lauernden "richtig modernen" Amalgam widersetzt.

Jeder Moment gerät zum Fluss (Flow), ob in der Seilbahngondel, im Spannschacht, beim Espresso, beim Plausch mit Einheimischen und Gästen. Der Schäfer mit seinen 1400 Schafen. Das Stolpern über Eisenstränge des umgefegten Mastens der Rosareccio Bahn. Der Fehltritt in den verwesenden Schafskadaver. Die frische Luft ganz einfach. Die aufgeweckte junge Hüttenwirtin am Burki. Die fesselnden Bücher über jahrzehntelange Gletscherforschung am Belvederegletscher. Die Sommerhitze. Die abblätternde Lackkomposition am Gittermasten der Pendelbahn, der Aha-Moment nach dem Dekodieren der vermeintlich unmöglichen Abfahrt von Piani Alti zur Alpe Burki ...:
Es ist also schlicht und einfach nicht zu verhindern, dass es sich stets ohne eigenes Zutun ergibt, dass sich mir Unbekanntes stets wohlwollend vor mir ausrollt, dabei neue Rätsel stellt oder andere löst, in aller Wellness. :-)

Paradoxerweise scheinen viele "Amici di Macugnaga" an dieser Konstellation jedoch geradezu extremst zu verzweifeln: Fordern diese unablässig, dass "endlich" dies und jenes zu geschehen hat - von der KSB zum Belvedere über den Walser-Express-Tunnel bis zur "endlich" irgendwie "würdig" ausgebauten Zufahrtstrasse, nebst schmerzhaft vermissten "zeitgemässen" Ferienressorts und Verwässerung der insbes. in einigen Walsertäern durchaus strengen Baugesetze.

Dennoch, trotz allen Rufen nach erlösender Rettungin die Zukunft ist das Hier und Jetzt in Macugnaga quasi exakt genau so geblieben, wie es dies in den letzten 2% seit Christi Geburt beriets in aller Ruhe gewesen ist...


Und schön ist es auch trotz allem festzustellen, dass es durchaus viele Leute dort gibt, die Macugnaga "wie es ist" schätzen und ihren kleinen Beitrag dazu leisten, sei es mit kleinen netten Tourismusbetrieben, in der Rest-Landwirtschaft, oder der von seiner Pendelbahn begeisterte Betriebsleiter, der selbst einem profanen Tourismusgast aus der Ferne mit Freude Anekdoten aus der Monte-Moro-Geschichte erzählt...

Bei einem kleinen Mikroabenteuer bleibt es somit freilich nicht, so hier in der Folge die Bilderstrecke zum Ausflug auf den klanglich holländisch benannten Seewjinen Gletscher, auf dem möglicherweise eine Aufstiegshilfe (<-- schönes Wort,hm?) existierte. Schnell zur Lösung: Spuren davon konnte ich allerdings vor Ort keine finden. Bin dort noch bis zum Seewjinenhorn (3205m) weiter rauf, durch etwas hakeligen Bruch und Geröll des dort verschwundenen Gletschers. Wegen der kostenlosen Energie und der genialen Aussicht hinein in die Gletscherkessel, die allesamt in den Mattmark Stausee entleeren und direkt von bestschweizerischen Ikonen wie dem Flucht- und Strahlhörnern (4190m resp. 3795m) beschickt werden.

Ich war geneigt weiter zu laufen, hin zum Gletscher und dem CH-IT Grat entlang -ein Klassikweg der Region- und über den Durchlass beim Steinchalchhorn wieder Retour nach Italien. Ad-hoc alleine wäre das jedoch wenig vernünftig gewesen, und so ließ ich das bleiben.


Um vom Gesamtensemble Monte Moro Bergstation (2810m) zum Handlift am Gallkernefirn zu gelangen, muss zunächst ausgiebig Zeit beim Espresso in der obligatorischen Bar verbracht werden. Sodann geht es leicht bergwärts zur ehemaligen Bergstation des abgebauten, westlich der PB verlaufenden Skilifts. Dessen Feind waren die Lawinen der Berglaken im Rücken.

Sodann steigt es ein wenig mehr an, und es ist die doch recht steile Südflanke des Monte Moro (2984m) auf einem schmalen Pfad zu beschreiten. Aus heutiger Sicht etwas windige Konstruktionen aus Stahlstangen und Brettern haben wohl ehemals im Winter für ein Gehvergnügen auf breiterem Planum gesorgt, denn die Steilheit der abstürzenden Bergflanke dürfte mit jendem vom Passaggino in Breuil verwandt gewesen sein.
Luftlinie wurden ehemals etwa 750m von der PB bis zum Handlift Galkerne erwandert, und knapp 95m dabei erklommen. Im Zeitalter von Skisport-Rolltreppen für 5 Höhenmeter eine wohl außerirdische Anstrengung. Für Ski und Gepäck gab es dennoch eine kleine Materialseilbahn.

An der "Bocchetta di Galkerne" (2905m) endete der Handlift des heute nahezu vollständig weggeschmolzenen Gletschers. Ein kleines Haus in Trockensteinmauern beherbergt heute nichts, ehemals mag dies ein Grenzwärterhäuschen gewesen sein.

An zwei Außenmauern entlang erblickt sich leicht ein quasi vollständiger Gletscherllift in zusammengelegtem Aggregatszustand. Nur der Antriebsmotor fehlt offenbar. Ein bisschen Zeit verbrachte ich mit dem Entschlüsseln der einzelnen Bauteile - immerhin das erste mal, dass mir derartiges begegnet. Das Zugseil dürfte ein 8mm stark gewesen sein, es umschlang die Antriebsscheibe 180° + >180° in zwei Schlaufen.

5 Meter hinein auf Schweizer Grund befand sich auf einem Steinplateau ein L-förmiges Rahmengestell, auf dem wohl Antrieb und Umlenkung sich ehemals befanden. Es war dies zwar ein anderer Hersteller als am Stelvio (dort lieferte Troyer), jedoch dessen selbsthemmende Klemmen vom gleichen Prinzip.

Es muss damals für alle Stakeholder eine Tolle Zeit gewesen sein. Sozial bot diese Konfiguration ein vollständig nicht mehr nachvollziehbares aber für mich umso spannenderes Treiben und Leiben. Nebst dem für Gäste aus der Ebene wohl mühevollen Zugang, waren gewiss zahlreiche lokale Handfertigkeiten im Spiel, mal improvisiert mal geplant. Stets in kreativem situationselastsichen Austausch - immerhin ein wesentlicher Bestandteil des italienischen Wirtschaftswunders. Continuous Remote Monitorung, AI-based Preventive Maintenance, ISO9001 Quality Management und Konsorten waren offenbar noch nicht betriebsbereit, es kam quasi alles aus der Region.

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sheridan
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Re: Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

Beitrag von sheridan »

Mit holländisch hat Seewjinen nichts zu tun. "JI" ist eine walliserdeutsche Lautverschiebung von "LI".
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Re: Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

Beitrag von flinkerhase »

Genial. Aber die wirklich spannenden Bilder fehlen doch noch. Gibts keine Halteverseknungen im Boden für Berg- oder Talstation?
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Kris
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Re: Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

Beitrag von Kris »

flinkerhase hat geschrieben: 29.04.2021 - 22:18 Genial. Aber die wirklich spannenden Bilder fehlen doch noch. Gibts keine Halteverseknungen im Boden für Berg- oder Talstation?
Den Sockel der Antriebsstation findest Du doch in obiger Bilderstrecke, jenes mit Blick auf den Mattmark-Stausee. Es dürfte auf der Strecke zwei am Eis abgespannte T-Masten gegeben haben, die jetzt oben an der Hütte deponiert sind. Die talseitige Umlenkung befand sich wohl ebenso auf Eis.
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Re: Macugnaga :: Juli 020 :: Seewjinenhorn

Beitrag von Kris »

sheridan hat geschrieben: 29.04.2021 - 13:03 Mit holländisch hat Seewjinen nichts zu tun. "JI" ist eine walliserdeutsche Lautverschiebung von "LI".
Ich habe halt gehofft, dass vielleicht ein holländisches Paar dort oben "wijn" trank, auf den See blickte und so halt der Name entstand ;-)
Jedenfalls sind in der deutschen Sprache "i" und "j" selten beinander .....
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