Wilde Pisten müssen nicht gezähmt werden
Verfasst: 25.06.2004 - 11:30
Aus der NZZ
Aus dem Bundesgericht
Wilde Pisten müssen nicht gezähmt werden
Keine unbegrenzte Sicherungspflicht
Ein Bergbahnunternehmen ist nicht verpflichtet, eine regelmässig befahrene wilde Piste in eine offizielle Piste umzuwandeln und entsprechend zu sichern. Das ergibt sich aus einem Urteil des Bundesgerichts im Falle einer jungen Frau, die an einem Ski- und Snowboardlager im Engadin teilgenommen hatte und statt auf einer offiziellen Piste parallel zur örtlichen Seilbahn talwärts gefahren war. Dabei stürzte sie, schlug mit dem Kopf auf einen mit Schnee bedeckten Stein und zog sich eine Tetraplegie zu.
150'000 Franken gefordert
Das Bezirksgericht Inn und das Kantonsgericht Graubünden hatten eine vom Opfer gegen die Bergbahnunternehmung Pendicularas Motta Naluns Scuol-Ftan-Sent SA eingereichte Klage auf Genugtuung in Höhe von mindestens 150'000 Franken abgewiesen, was nun vom Bundesgericht bestätigt worden ist. Laut dem einstimmig gefällten Urteil der I. Zivilabteilung muss der Betreiber einer Bergbahn im Bereich der Pisten und des Pistenrands natürliche oder künstliche Hindernisse im Rahmen des Zumutbaren beseitigen oder wenigstens kennzeichnen und polstern. Auf den so genannten Nebenflächen müssen die Pistenbenützer durch unmissverständliche Signalisationen vor aussergewöhnlichen Gefahren geschützt und auf den Verlauf der offiziellen Pisten hingewiesen werden.
Stein keine atypische Gefahr im Gebirge
Bei den wilden Pisten (freeride areas) handelt es sich dagegen um Abfahrten, die Skifahrer und Snowboarder im freien Gelände durch häufiges Befahren selbst geschaffen haben. Sie «werden vom Verkehrssicherungspflichtigen weder markiert, hergerichtet, kontrolliert noch vor alpinen Gefahren gesichert». Wer sie befährt, tut dies in aller Regelung in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko. Wo eine wilde Piste von einer Pistennebenfläche abzweigt, muss «lediglich mit einer ausdrücklichen Warntafel oder einer Wimpelschnur das Ausscheren in eine nicht gesicherte Strecke mit besonders grossen oder atypischen Gefahren verhindert werden».
Im konkreten Fall habe der schneebedeckte Stein keine solche atypische Gefahr dargestellt. Vielmehr sei in Berggebieten überall mit Steinen zu rechnen. Pistenbenützer sollen nicht irrtümlich Routen für die Talabfahrt wählen, auf denen sie sich vor Gefahren sicher wähnen, doch sind Bergbahnunternehmen nicht verpflichtet, «eine wilde Piste in eine offizielle, gesicherte Piste umzuwandeln und ins Pistensystem aufzunehmen» (BGE 115 IV 189 E. 3c).
Urteil 4C.54/2004 vom 1. 6. 04 - keine BGE-Publikation