Teil 1 August 2005 - November 2019
Die Zusammenfassung des Bisherigen kann nie mehr sein als eine Zwischenbilanz, aber man kann ihren Anfang definieren. Für mich ist es der Sommer des Jahrs 2005, da wurde ich 23. Jetzt bin ich 37, dazwischen liegt eine ganze Menge Zeit und noch mehr Veränderung. Dieser Winter ist ein gutes Zeugnis davon, hier ist seine Geschichte.
(Namen von Meschen die nicht Teil des Alpinforums sind, habe ich verändert.)
"I don't know if I'm scared of dying but I'm scared of living too fast, too slow
Regret, remorse, hold on, oh no I've got to go
There’s no starting over, no new beginnings, time races on
And you've just gotta keep on keeping on"
(aus: "My silver lining" von First aid kit)
Was davor passierte
Ich stamme aus dem Ruhrgebiet und bin bis heute in dieser lebendigen, vielfach unterschätzten wenn auch eigenwilligen Region kleben geblieben.
Seit meiner Kindheit bin ich ganz normaler Flachlandtourist in den Alpen gewesen. Im Sommer das kleine 1x1 des Wandern, im Winter Skifahren mit Eltern und Schwester. Fast immer ging es seit 1990 ins Paznauntal nach Kappl. In einzelnen Wintern gab es wagemutige Experimente mit einer Woche in Adelboden oder Fiss, gefolgt von der Eingebung, das da wo man alles kennt es doch noch immer am allerbesten ist.
2001 Abi, Zivi, das obligatorische noch nicht so richtig wissen wohin, freiwilliges Soziales Jahr nachgeschoben, Ausbildung angefangen und dann für das Wintersemester 2005 doch noch an der Uni eingeschrieben. Im August des selben Jahres, einen Monat bevor die Vorkurse in Bochum begannen, wollte ich dann doch nochmal in die Berge, ich war seit Jahren im Sommer nicht mehr dort gewesen. Meine damalige Freundin hatte mit wandern nichts am Hut, kaufte sich aber bereitwillig ein paar Hanwags in der Volllederausstattung. Irgendwie sind wir nach Ischgl gefahren - damals dachte ich noch, das sei ein lohnenswertes Sommerziel. Wir haben gemacht was Touristen halt so machen bis zu der Nacht, in der das große Alpenhochwasser kam. Bisher waren die Tiroler Destinationen für mich die heile Disneywelt, ein einziges "Ja Servus", "Jodeladihiii" und ich zufriedener Kunde der Industrie. Die Zimmerwirtinnen heißen Claudia, Marianne oder wie auch immer, egal, hauptsache zünftig. Jedes Jahr ein "Schön das ihr wieder da seid", man kennt sich, schließlich ist man einer von 5000 Stammgästen ... und natürlich weiß man nichts voneinander. Und dann kam die große Flut, ein Jahrhundertereignis der Westalpen und wir mitten drin. Seit der Nacht die wir mit der Gastgeberfamilie im Dachgeschoss des Hauses ausharrten bis im Morgengrauen die Hubschrauber fliegen konnten und uns alle mit der Seilwinde holten, wissen wir vieles über die Familie und sie über uns. Jahre später wurde Claudia meine Trauzeugin. Seit den unmittelbaren Tagen danach, in denen wir von der Dorffeuerwehr eine Gummihose bekamen und Häuser ausgebuddelt haben bis die Schwielen vom Spatenhalten sich blutig von den Fingern schälten, hat sich alles verändert. Die glitzernden Fassaden sind Kulissen und ich weiß vieles über die Geschichten dahinter.
Anfang November 2011 waren die letzten Prüfungen meines Studiums beendet, der Arbeitsvertrag ab dem 1.1.2012 unterschrieben und ich folgte der Einladung eines in die Schweiz ausgewanderten Onkels für zwei Tage Post-Examens-Skifahren in Zermatt. Zuhause sein wollte ich aber erst eine Woche später. Das erste Mal konnte ich mir überlegen wohin. All die Orte aus dem 3Sat-Alpenpanorama der Kindheit, all die Berichte aus dem Alpinforum. Ich fuhr ins Kaunertal, ich fuhr ins Pitztal, ich fuhr ins Stubaital, alles Mainstream, aber krass, das ging, jeden Tag einfach wo anders hin und dann zum Pre-Opening nach Obergurgl. First Contact, Huppi, Dachstein, Talabfahrer - irgendein Virus hatte mich infiziert, ich fand alles großartig. Ich wusste zwar nicht wie, ahnte aber, dass mein Verhältnis zu den Bergen sich ändern würde.
2019 - Spießbürger und Vagabund
Ich habe mit mir gerungen ob mein Beruf etwas zur Sache tut, wir denken ja alle in Schubladen und will ich eingeordnet werden? Eigentlich nein, aber er hat den November geprägt. Ich bin Arzt, ich arbeite auf der Intensivstation eines Akutkrankenhauses im Ruhrpott und führe die meiste Zeit ein ganz normales spießbürgerliches Leben. Häuschen kaufen, zu viel Arbeiten, zu wenig Zeit für die Partnerin, den Sport, die ganzen Freunde, all sowas halt.
Hin und wieder stellt mich mein Arbeitgeber frei um auf eine Fortbildung zu fahren, auch wenn ich selbst unterkommen und anreisen muss. Ende November gab es was Interessantes in der Schweiz und tatsächlich wurden mir die Tage genehmigt, außerdem hatte ich noch einen winzigen Rest Resturlaub, den ich nicht mit nach 2020 nehmen darf, das lässt sich doch irgendwie kombinieren. Und Johannes wohnt in Feldkirch/Vorarlberg auch nicht weit weg. "Klar, komm vorbei, wir stellen schon irgendwas nettes in den Bergen an."
Er hat mir eine Option im Leben vorgemacht, als er vor 7 Jahren nach Österreich ausgewandert ist. Und tatsächlich habe ich vor gut drei Jahren in einer Klinik in Vorarlberg hospitiert, meine bessere Hälfte wäre mitgekommen um es gemeinsam auf Zeit dort unten zu probieren, aber ich habe mich dagegen entschieden.
Zeitsprung - Samstag, 23.11.2019
Zu Hause fände ich einen solchen Orte in der Dunkelheit wahrscheinlich gruselig. Für die Jahreszeit ist es nicht kalt, aber mir fröstelt, überall kleine Lichter doch sie reichen nicht um die Finsternis zu vertreiben. Ich bin in Feldkirch, aber was hatte Johannes sich dabei gedacht, dass ich ihn nun an diesem Ort aufsuchen muss? Er wird es mir nicht mehr sagen.
[To be continued]