Kultur statt Beton in Bosco/Gurin
Im Tessiner Walserdorf Bosco/Gurin formiert sich der Widerstand gegen den Bau einer Metro für Skitouristen. Eine Studie zeigt Alternativen auf.
Von Christina Leutwyler, Locarno
Giovanni Frapolli, Helikopter-Unternehmer aus Bellinzona, hat hochfliegende Pläne. Er will Bosco/Gurin, zuhinterst in einem Seitental des Maggia-Tals gelegen, mit Italien kurzschliessen - und zwar nicht über, sondern durch den Berg. Eine vier Kilometer lange und 40 Millionen Franken teure Metro soll Skitouristen aus dem italienischen Val Formazza ins abgelegene Tessiner Bergdorf holen. Dessen Skigebiet wurde bereits um zwei Sessellifte ergänzt. Zudem steht seit einiger Zeit ein neues Hotel mit 52 Betten bereit, eine Jugendherberge mit 175 Betten sollte dieses Jahr eröffnet werden, ein Einkaufs- und Gewerbezentrum ist geplant. Nur so, ist Frapolli überzeugt, lasse sich die wirtschaftliche Zukunft des 96-Seelen-Dorfes sichern.
Anlagen kaum amortisierbar
Doch das nehmen ihm die Kritiker inner- und ausserhalb des Tals nicht mehr ab. Sie fürchten vielmehr, dass die Grossalp AG - deren Delegierter Frapolli ist - dem geschützten Walserdorf Investitionsruinen beschert. Seit Mitte 1998 hat das Unternehmen 17,5 Millionen Franken verbaut - mehr als in den 20 Jahren zuvor. Möglich war das nur, weil der Bund und der Kanton über 70 Prozent beisteuerten. Es sei aber kaum realistisch, die Anlagen zu amortisieren, heisst es in einer Studie, die im Auftrag der Vereinigung für Bosco/Gurin und der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz entstanden ist. Die Autorin der Studie vermutet, dass die Grossalp AG während der letzten beiden Wintersaisons, in denen wenig Schnee gefallen ist, negative Betriebsergebnisse eingefahren hat.
Gemeinderat auf Grossalp-Lohnliste
Die Kritiker fordern nun, dass über die Entwicklung des Tourismus in Bosco/Gurin umfassend diskutiert wird, bevor die Gemeinde über den neuen Richtplan abstimmt, der ganz auf die Projekte der Grossalp AG ausgerichtet ist. Allerdings dürfte die Diskussion schwierig werden, steht doch die Mehrheit des Gemeinderats auf der Lohnliste der Grossalp AG. Alternativen zeigt jedenfalls die Studie des Alpenbüros in Zürich auf: Sie empfiehlt Bosco/Gurin, "auf die eigenen spezifischen Stärken, auf die einmalige Natur und Kultur zu setzen und sich zukünftig als ruhiger, naturverbundener Ferienort zu positionieren".
Mehr Sommertourismus
Konkret bedeutet dies, dass der Sommertourismus im Vergleich zum Wintertourismus aufgewertet werden soll. Die Besitzer der wenig genutzten Ferienwohnungen, in denen über die Hälfte der 800 Betten von Bosco/Gurin steht, sollen überzeugt werden, diese zu vermieten. Beim Marketing soll das Dorf einerseits mit der ganzen Region des Maggia-Tals zusammenarbeiten, anderseits aber auch mit anderen Walserorten im gesamten Alpenbogen. Schliesslich sollen thematische Exkursionen und Wanderungen auf den alten Walserwegen Gästen die Naturlandschaft und Kulturgüter näher bringen. Durchaus denkbar ist dabei auch, dass Bosco/Gurin und das Val Formazza touristisch zusammenspannen - allerdings nicht mit der geplanten Metro, sondern in ihrer gemeinsamen Walsertradition.
Aufgrund dieses Artikels wurde übrigens von Frapolli eine Beschwerde beim Presserrat eingereicht.