
Wir schreiben die vorletzte Juli Woche 2008. Die Nächte waren in den letzten Tagen für mein Wohlbefinden deutlich zu warm, und ich spiele mal wieder mit dem Gedanken mir eine Klimaanlage für mein Schlafzimmer zuzulegen um zumindest dort für ein erträgliches Klima zu sorgen.
Einzig positives an diesen Tagen, ist die Woche Urlaub welche mir bevor steht.
Und für mich steht fest, dass ich der Hitzewelle vertikal entfliehen werde.
Inspiriert durch diverse Berichte in diesem und anderen einschlägigen Foren war klar, dass meine Hitzeflucht in diesem Jahr auch einen Stop am Passo Stelvio machen wird.
Und wenn ich dann schon mal dort bin, gönne ich mir auch das mir bisher unbekannte Vergnügen des Hochsommerlichen Schifahrens.
Aber zuerst steht übers Wochenende in meinem Heimatort noch unser heiß geliebtes Volksfest auf dem Programm, welches den Beginn meiner Hitzeflucht um ein paar Tage verschiebt.
Am Dienstag den 29. Juli ist es dann aber endlich soweit. Gegen 11:30 setze ich mich in mein Auto und nehme Kurs in Richtung Süden.
Die Fahrt führt mich zunächst über Ingolstadt, München, Garmisch und den Fernpaß nach Imst. Das Geld für die Vignette spare ich mir und fahre nicht auf die Autobahn Richtung Landeck.
Stattdessen geht es hinein ins Pitztal und über ein nettes Sträßchen via Arzl, Wenns, Piller, Kaunerberg nach Prutz im Oberinntal. Eine schöne Alternative zur Landstraße oder Autobahn mit toller Aussicht auf das Skigebiet von Serfaus-Fiss-Ladis.
Ab Prutz fahre ich dann immer den Inn entlang auf der Reschen-Bundestraße welche ich kurz nach Pfunds verlasse um ins Engadin abzubiegen. Weiter geht’s immer der Engadiner Bundesstraße folgend durch das Unterengadin bis Zernez.
Hier stehe ich vor der Wahl zwischen Ofenpass und Umbrail, oder der Strecke durch das Oberengadin und weiter über den Berninapass, der Forcola de Livigno und den Passo di Foscagno zum Stilfserjoch.
Erstere Strecke wäre landschaftlich natürlich auch sehr reizvoll, da ich aber unbedingt mal die vergletscherte Bernina-Gruppe sehen möchte entschließe ich mich für letzteres.
Gegen 16:30 erreiche ich Pontresina und nehme die Abzweigung Richtung Bernina Passstraße.
In Pontresina mache ich einen kurzen Stop für eine kleine Fotosession.
Ein erster Blick auf die Bernina-Gruppe
Dann geht es zu einem kurzen Abstecher ins Val Morteratsch, von wo aus man einen grandiosen Blick auf die Eiswelt der Bernina-Gruppe hat.
Nächster Halt ist an der Talstation der Pendelbahn zum Piz Lagalb, welche momentan im Sommerschlaf liegt.
Auch hier sind die Gletscher der Bernina allgegenwärtig.
Oben am Pass angekommen hat es angenehme 17 Grad. Fast schon zu kalt für ein Trägershirt und so hole ich mir meine Trainingsjacke aus dem Auto bevor ich zu einem kleinen Spaziergang starte.
Zoom zur Bergstation Lagalb
Lago Bianco
Weiter geht es den Berninan Pass hinunter Richtung Italien, bis zur Abzweigung zur Forcola di Livigno.
Kurz unterhalb der Passhöhe noch auf Schweizer Boden.
Und hier schon in Italien
In Livigno wird natürlich getankt, wobei mir das Malheur passiert dem Tankwart kein Trinkgeld zu geben. So einen Service ist man halt in Deutschland (leider) nicht gewohnt.
Weiter geht es über den Passo die Foscagno Richtung Bormio. Sollte es zumindest, denn ich verfahre mich erstmal und befinde mich auf dem Weg Richtung Munt la Schera Tunnel, bemerke dies aber bald und drehe um.
Auf dem Weg zum Passo die Foscagno.
Gegen 19:30 befinde ich mich am Fuß der Südrampe des Stilfserjoch und beginne mit der Auffahrt zu selbigem.
Und erstmals werde ich auch mit dem vielzitierten Italo-Trash konfrontiert.
Die Strecke schlängelt sich Anfänglich am Berg entlang durch einige Lawinengalerien, bevor man dann mittels einiger Kehren rasch an höhe gewinnt.
Gegen 20:30 komme ich dann an der Passhöhe an, parke mein Auto und starte einen kleinen Rundgang.
Ziemlich coole Abendstimmung hier oben.
Und auch die italienische Skinationalmannschaft scheint hier zu sein.
Anschließend wird noch kurz etwas zu Abend gegessen, bevor ich mein Nachtquartier einrichte.
Geschlafen wird natürlich Starli-like im Auto.
Allerdings hab ich anstatt aufblasbarem Bett und Schlafsack nur eine Iso-Matte und ein Wolldecke dabei, was mir in Verbindung mit dem zu kurzen Kofferraum meines Zafiras eine unruhige und leicht frostige Nacht beschert.
Dies hat aber den netten Nebeneffekt, dass ich rechtzeitig für mein erstes Vorhaben des darauffolgenden Tages wach bin.
Eher durch Zufall bin ich bei meinen Recherchen im Vorfeld meines Urlaubs über die Internetseite des Tourismusverbandes Sulden gestolpert.
Dort wird wöchentlich eine Sonnenaufgangstour auf die Rötelspitze angeboten.
Ein leichter Dreitausender, mit ca. 1,5 Stunden Aufstieg vom Stilfser Joch aus.
Meine letzte sommerliche Bergtour lag nun auch schon bestimmt 15 Jahre zurück, und einen Dreitausender hatte ich bis jetzt auch nur mit Hilfe von Seilbahnanlagen bezwungen.
Deswegen bin ich auch die ganze Nacht etwas aufgeregt und nervös, was mir dieses kleine Abenteuer bescheren wird.
Um ca. 4:00 wache ich (nicht das erste mal) wieder auf.
Noch nicht wirklich ausgeschlafen, aber mit der Gewissheit, dass jetzt sowieso bald der Wecker klingelt ziehe ich mich an und treffe die notwendigen Vorbereitungen für meine kleine Bergtour.
Geplant war um 4:30 zu starten um dann gegen 6:00 Uhr auf dem Gipfel zu stehen.
Gegen 4:30 bin ich auch mit meinen Vorbereitungen fertig, doch plötzlich finde ich meinen Autoschlüssel nicht mehr.
Nach dreiviertelstündiger, nervenaufreibender Suche, wobei ich mitten in der Nacht den kompletten Kofferraum ausgeräumt und die variablen Rücksitze meines Zafiras in alle erdenkliche Position gebracht hatte, fand sich der Schlüssel schließlich doch wieder, und ich konnte mich gegen 5:15 auf den Weg machen.
Im Hotel Stelvio brennt noch/schon Licht
Der Weg führt zuerst kurz hinauf zur Dreisprachenspitze, von wo aus man einen guten Blick auf die Passhöhe hat.
Ein kurzer Blick auf die Passstraße...
... und die umliegende Berg- und Gletscherlandschaft.
Der Weg zweigt kurz unterhalb der Dreisprachenspitze nach rechts ab und führt dann immer in nördliche Richtung an vielen Relikten des 1. Weltkrieges vorbei direkt auf die Rötelspitze zu.
Von Minute zu Minute werden die Lichtverhältnisse besser, und ich werde immer euphorischer in Erwartung des bevorstehenden Aufstiegs.
Auch die Bernina-Gruppe ist schon zu sehen.
Sommerskigebiet und Ortler.
Blick Richtung Schweiz
Das Gipfelziel - die Rötelspitze. Gut zu erkennen woher sie wohl ihren Namen hat.
Der Weg ist gut ausgetreten und auch gut markiert. Genau das richtige also für eine Wiedereinstiegstour.
Hab den Gipfelanstieg mal eingezeichnet. Die letzten Höhenmeter führen auf der Rückseite auf den Gipfel.
Blick zurück, auch hier ist der Weg gut zu erkennen.
So langsam kommen die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zum Vorschein und zaubern eine grandiose Stimmung auf die Umliegenden Berglandschaft.
Noch nicht ganz am Gipfel angekommen beginnt dann das wahre Spektakel.
Überwältigt und voller Adrenalin mache ich mich dann an die letzten 50 Höhenmeter.
Oben angekommen hat man eine einmalige Aussicht. - Gipfelimpressionen
Nach einer kurzen Verschnaufpause und einer ausgeprägten Fotosession mache ich mich euphorisiert wieder auf den Rückweg, denn es steht ja noch ein weiteres Highlight auf den Programm.
Einzige etwas "heikler" Stelle kurz unterhalb des Gipfels.
Rückweg zur Passhöhe...
... führt vorbei an vielen Ruinen der Ortlerfront des 1. Weltkriegs.
Die Garibaldi-Hütte auf der Dreisprachenspitze kommt wieder näher.
Natürlich darf etwas Altmetall am Wegesrand nicht fehlen.
Gegen 7:30 bin ich dann wieder zurück auf der Dreisprachenspitze und beobachte die erste Funifor-Fahrt des Tages.
Auf der Passhöhe ist auch schon etwas Leben eingekehrt.
Ich steige hinab und mache mich fertig für das zweite Highlight des Tages.
Auf der Passhöhe angekommen ein erster kleinerer Schock. Eine Warteschlange vor der Seilbahnstation!
OK, es ist zwar Ferienzeit, aber etwas überrascht bin ich schon über den Andrang.
Kurz blicke ich nochmal auf das Ziel meiner morgendlichen Unternehmung zurück und wechsle dann von den Wander- in die Skiklamotten.
Ohne Stress und Hektik bereite ich mein Material vor und schlendere die paar Meter zur PB-Station.
Mittlerweile ist auch die Warteschlange verschwunden und nach dem Kauf eines Tagesskipasses für stolze 34,- (Vormittagskarte gibt es leider nicht) geht es die beiden Sektionen hinauf ins noch geöffnete Sommerskigebiet.
Dort lasse ich erstmal den anderen sommerskifahrenden Kollegen aus meiner Gondel den Vortritt und entscheide mich zuerst für eine kurze Fotosession auf der Terasse der Funifor-Bergstation.
Standardblick zu den Geister-SL
Ehemalige Stationen des Campo Scuola SL im ausapernden Gletscher. (Das könnte ja schon fast als Kunstwerk durchgehen so trashig ist das.)
Blick zurück auf Trincerone und auf die erste PB-Sektion.
Bergstation (ehemaliger) SL Nagler und Teile seiner Stützen im Gletschereis.
Bergstationen der beiden nicht mehr im Betrieb befindlichen SL's auf einen Blick
Langlaufloipe im unteren Bereich des Geister-SL.
Blicke auf die umliegende Bergwelt. Ich bin sprachlos.
Nachdem nun auch die Passagiere der nächsten Gondel bereits von der Funifor-Bergstation verschwunden sind, mache ich mich auch auf dem Weg Richtung Talstation Geister SL und schnalle die Ski an.
Im unteren Bereich der SL's ist der Gletscher wohl nicht mehr sehr dick, und auf der Liftspur (wie auch auf den Pisten links und rechts daneben, welche man i.d.R. aber nur zur Rückkehr zum Livrio benötigt)) ist teilweise Slalom fahren angesagt um ausaperndem Geröll auszuweichen.
Ab Sommereinstieg sind die Pisten allerdings in einem traumhaften Zustand.
Auch der Gipfel des Ortlers zeigt sich für kurze Zeit mal wolkenfrei.
Nach ein paar exzellenten Speedcarving-Abfahrten links und rechts der Geister-SL beschließe ich den Rest des Skigebiets zu erkunden und mache mich auf Richtung Talstation Christallo-SL
Das Publikum besteht heute zu 95% aus Kader-Rennläufern diverser Skinationen (oder solcher, die es gerne werden wollen).
Dementsprechend sind auch die Pisten mit Rennstrecken belegt. Besonders ärgerlich ist, dass der einzige rote Hang am Payer komplett mit Stangen zugepflastert ist.
Einzig am Christallo ist nichts für die Rennläufer abgesperrt...
... und so beschließe ich die nächste Zeit erst mal dort zu verbringen, was kein Fehler ist, da die Sonne den Schnee hier mittlerweile in traumhaften Firn verwandelt hat.
Eine Abfahrt nach der anderen ziehe ich völlig euphorisiert auf der idealen Carving-Piste meine Spuren in den Schnee.
Zwischendurch steige ich auch mal die restlichen paar Meter Richtung Bergstation auf, von wo aus man einen grandiosen Ausblick auf das vergletscherte Adamellomassiv hat.
Unten im Tal müsste der Gavia-Pass verlaufen.
Auch die umliegenden Winterskigebiete von Bormio und Umgebung sind in Reichweite.
Und auch mein Ziel von heute morgen ist gut zu sehen.
Nach ein paar weiteren Fahrten an Christallo und Payer beschließe ich den Vormittag am Geister ausklingen zu lassen.
Da die Schneequalität aufgrund der hohen Temperaturn auch immer mehr zu wünschen übrig lässt, und auch die morgendliche Unternehmung spuren in meinen Oberschenkeln hinterlassen haben steht fest, dass ich mein Sommerskiabenteuer mit der Mittagspause beenden werde.
Ich kehre gegen 12:00 Uhr zum Livrio zurück, relaxe noch ein viertel Stündchen auf dessen Terasse und schieße dabei noch ein paar Fotos.
Gegen 13:00 Uhr bin ich dann wieder zurück auf der Passhöhe, ziehe mich um und mache mich auf den Weg die Nord-Ost-Rampe des Stilfser Joch hinunter ins Vinschgau.
An der Franzeshöhe halte ich nochmal kurz an und werfe einen letzten Blick auf die kühn in den Berg gemeißelte Straße und den Ortler.
Die Reise ging dann weiter über Meran, Bozen, den Karrerpass und dem Sellajoch ins Grödnertal, wo ich mich noch für 2 weitere Nächte in St. Christina einquartiert und am nächsten Tag noch den Lagazuoi bestieg.
Fazit:
Coole Location, grandiose Kulisse, fantastischer Firnschnee (zumindest für 2 Stunden) - endlich konnte ich mir ein Bild machen von diesem ganz besonderen Ort an der Grenze zwischen Südtirol, Lombardei und der Schweiz.
Es wird sicher nicht mein letzter Besuch an diesem Ort gewesen sein, wenn auch wohl derjenige welcher mir am eindrucksvollsten in Erinnerung bleiben wird.