"Wir schneien"
In den Gletscherskigebieten wird schon seit Ende Oktober gewedelt, gecarvt und trainiert - mit und ohne Beschneiungsanlagen
Über Schladming hängt der Novembernebel, und in der Ramsau kämpft der erste Schnee mit einem spätherbstlichen Föhneinbruch. Langlaufen? Wo denn das, bitte schön? Oben am Dachsteingletscher natürlich! Dort, auf 2700 Metern Seehöhe ziehen die Pistenmaschinen messerscharfe Loipen und glatte Skatingspuren in den neuen Schnee.
Über zwanzig nordische Teams, von Slowaken bis zu Schweden, von Griechen bis zu Ukrainern, absolvieren hier auf insgesamt 18 Kilometern Loipe ihr erstes Schneetraining. Und zum "Langlaufopening" Ende Oktober reisten Busladungen von Wintersüchtigen aus ganz Österreich, Tschechien, Deutschland und Slowenien an. Die Ausrüstungsfirmen waren mit Test-Skatingskiern angerückt, und abends gab es Sportmodeschau und Fitnesstest. Fast könnte man glauben, in einer virtuellen Winterwonderworld gelandet zu sein, würde da nicht ein Schild in der Talstation der Seilbahn daran erinnern, dass hier Natur am Werk ist: "Gespurte Loipen nicht verlassen - Gletscherspalten!".
Highlife auch anderswo. Auf den Gletschern oberhalb von Sölden im Ötztal jagt ein "Opening" das andere: Snowboard-FIS-Weltcup-Auftakt, Alpiner Ski-Weltcup-Auftakt, Racing-Camps für jedermann und Ende November dann ein ganz neuer Wettbewerb: Bei den "Crossmax-Series" stürzen sich die Skiläufer nach Massenstart um die Wette in die Tiefe.
Rechtzeitig zum Beginn der Saison wurde in Sölden auch die Verbindung der höchsten Dreitausender der "Ötztal Arena" mit Liften gefeiert: Gaislachkogel, Tiefenbachkogel und Schwarze Schneide bringen es gemeinsam auf über 10.000 Höhenmeter, freilich vom Meeresspiegel aus gerechnet. Die drei Gipfel heißen jetzt griffig die "BIG3", und etwas nostalgisch erinnert man sich daran, vor vierzig Jahren die Schwarze Schneide im Frühjahrsfirn mit Tourenskiern und Fellen bestiegen zu haben und bei der Abfahrt mit einigem Glück einer kleinen Lawine entkommen zu sein.
Dass die Gletscher, die übrigens in den Ötztaler und Stubaier Alpen "Ferner" (von Firn) und in den Zillertalern und Tauern "Kees" heißen, gerade jetzt, im Spätherbst, so begehrt sind, hängt mit der immer früheren Eröffnung der Wintersportsaison zusammen, die vom Fremdenverkehr und der Sportartikelindustrie gefordert und von den Konsumenten angenommen wird. Dazu ist Schnee nötig, und den gibt es so früh im Jahr eben nur auf großen Höhen. Gleich, ob im Pitz-, Ötz-, Stubai- oder Zillertal, am Kitzsteinhorn oder Dachstein, versinken die Gletscher derzeit in frischem Pulverschnee, ob der nun vom Himmel fällt oder von aufwändigen Beschneiungsgeräten produziert wird. Hieß es früher einmal bloß "Es schneit", so verkünden heute die Touristiker stolz: "Wir schneien", was bis jetzt allerdings nur bei Minusgraden möglich ist.
Im Sommer geht das nicht, und deshalb machten die Gletscher im vergangenen heißen August Schlagzeilen. In manchen Sommerskigebieten musste der Betrieb eingestellt werden, weil man auf blankem Eis nicht fahren konnte, Alpinisten, die vor fünfzig Jahren in Gletscherspalten gefallen waren, wurden ausgeschwemmt, und vom Dachstein wurden Tonnen von Müll abtransportiert, die vor über dreißig Jahren einfach auf den Gletscher gekippt worden waren.
Dass der Dreck erst heuer, im extrem heißen Sommer ausgeapert ist, wertet Albert Baier, der neue Betreiber der Dachstein-Gletscherbahn und Geschäftsführer der Schladminger Planai-Hochwurzen-Bahnen, als Beweis, dass der Dachsteingletscher einer der ganz wenigen ist, die nicht zurückgegangen sind.
Verglichen mit der gesamten vergletscherten Fläche der Alpen sind es immer noch relativ kleine Gebiete, die für den lukrativen Pisten- und Loipenbetrieb ausgebaut sind. Die landschaftlich herrlichen Gebiete um den Piz Buin in der Silvretta, die Ötztaler Wildspitze oder der Großvenediger bleiben dem Skibergsteiger vorbehalten. Und auch die Franz-Senn-Hütte im Stubaital, benannt nach dem "Gletscherpfarrer" und Gründer des Alpenvereins, liegt in einem der schönsten, nicht beschneiten und nicht von Liften erschlossenen Skitourengebiet der Ostalpen.
Indes verteidigen die Touristiker das Beschneien. Albert Baier von der Dachstein-Bahn, die sich ein konsequentes Umweltschutzprogramm (u.a. Umstellung von Diesel auf Strom) verordnet hat, ist davon überzeugt, dass die künstliche Schneeauflage den Rückzug der Gletscher hintanhält. Aber er gibt zu, dass auch nur halbwegs sichere Prognosen derzeit nicht möglich sind. (Der Standard/rondo/14/11/2003)
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Ein Artikel aus Der Standard