Kreta präsentiert sich auf der Landkarte als über 260 km von West nach Ost langgestreckte, schmale Insel. Da sich hier - geologisch gesehen - die afrikanische unter die europäische Erdplatte schiebt, ist quasi ganz Kreta eine einzige Gebirgskette, die sich von West nach Ost in folgende Massive aufteilen lässt:
Weiße Berge oder Lefka Ori mit dem Pachnes (2.452 m) in Westkreta
Ida-Gebirge mit dem Psiloritis (2.456 m) in Zentralkreta
Dikti-Gebirge (2.148 m) in Ostkreta
Thripti-Berge (1.476 m) im äußersten Osten Kretas
Trotz der wenig rekordverdächtigen Gipfelhöhen liegt in den beiden erstgenannten kretischen Gebirgen in der Regel von Dezember bis April eine geschlossene Schneedecke, in Gipfellagen sogar bis Mai/Juni. Die Niederschlagsverteilung nimmt auf der Insel von West nach Ost ab, weshalb die Weißen Berge (Lefka Ori) schneereicher sind als das Ida-Gebirge. "Die Bergregionen erhalten im Winter durchschnittlich 1 200 mm Niederschlag im Jahr, die Westküste erhält ca. 750 mm, Heraklion etwa 500 mm, das östliche Kreta 450 mm und die Südostküste nur rund 200 mm." (Quelle: Jürgen Lehmann, Die Entwicklung des Fremdenverkehrs auf Kreta unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinde Plakias", Berlin 2000)
Das Innere der Weißen Berge und des Ida-Gebirges ist dünn besiedelt, landwirtschaftlich schwach genutzt und entsprechend abgeschieden. Dabei profitiert das Ida-Gebirge infrastrukturell noch von der Nähe zur Inselhauptstadt Heraklion, der größten Stadt Kretas. So führt heute eine 22 km lange Asphaltstraße vom Städtchen Anogia an den Fuß des höchsten Ida-Gebirgsstocks, des Psiloritis. Das Innere der Weißen Berge ist dagegen nur von Süden über eine 18 km lange Schotterpiste erreichbar. Dorthin - geschweige denn auf den Gipfel des Pachnes - verirrt sich deshalb kaum jemand.
Der besser zugängliche Psiloritis im Ida-Gebirge dagegen hat sich bei der kleinen kretischen Skigemeinde - vermutlich Städter aus Heraklion - als Skitourenziel etabliert, wie einige Webseiten dokumentieren. Nach dem Bau der Asphaltstraße in die Nida-Hochebene am Fuß des Psiloritis wurde hier in den 1990er Jahren Kretas einziger "Ski Resort" angelegt. Bevor die über einen Pass von Nordosten in die Nida-Hochebene abfallende Asphaltstraße an der Taverne in der Nähe der Idäischen Grotte (= "Zeus-Höhle") endet, zweigt nach rechts eine Schotterpiste ab. An diesem Abzweig steht der von Hirten zerschossene Straßenwegweiser "Ski Resort 2 km". Am Ende der heute für Straßen-Pkws kaum noch befahrbaren Piste befinden sich die Ruinen des Stationsgebäudes und zweier stillgelegter, jeweils wenige 100 m langer Seillifte, die die kurze, flache Piste am Nordhang des 2209 m hohen Berges Koussakas bedienten. Hier musste man sich jedoch der Natur geschlagen geben: Die im Winter oft starken Nordwinde ließen keinen regelmäßigen, organisierten Skibetrieb zu. Wahrscheinlich war die Zufahrt oft wegen Schneeverwehungen unbefahrbar. Die wintersportlichen Erschließungsmaßnahmen wurden nicht fortgesetzt. Man denkt mittlerweile über die Einrichtung eines Skihanges an der windgeschützteren Südseite des Berges nach. Im Jahr 1999 gab es ein Projekt, mit dem kretische Tourismusunternehmer und Hotels den Wintertourismus auf der Insel fördern wollten. Einer der Slogans war "Vormittags skifahren, nachmittags baden" - so wie in der Sierra Nevada in Südspanien. Das Projekt dürfte nicht nur an der fehlenden kretischen wintersportlichen Infrastruktur, sondern auch am Niederschlagsreichtum der Wintermonate im östlichen Mittelmeer gescheitert sein. Die Wassertemperatur erlaubt das Baden an der kretischen Südküste zwar bis in den Dezember, aber dann ist Schluss.
Im Rahmen meines Kreta-Urlaubs im Juni 2007 hatte ich mir den Besuch der stillgelegten Skistation im Anschluss an die Besteigung des Psiloritis vorgenommen. Da alle Reise- und Wanderführer ausdrücklich die Taverne am Start der Bergtour erwähnten, bezog ich diese fest in meine Proviant- und Getränkeplanung ein. Die "Taverne" erwies sich vor Ort jedoch als unbewirtschaftete Bauruine. So musste ich die schattenlose 1200-Höhenmeter-Tour bei wolkenlosem Himmel und 35°C mit den mitgeführten 1,5 Litern Wasser und zwei Stück Obst bestreiten. Nach 4,5 Stunden Auf- und Abstieg über geröllbedeckte Pfade warteten noch 2,5 Stunden Heimfahrt nach Westkreta auf mich. Völlig ausgetrocknet, mit schmerzendem Kopf und brennendem Mund schaukelte ich den japanischen Miet-Kleinwagen im ersten Gang die o.g. Schotterpiste in Richtung "Ski Resort" hinauf, bis der Trassenzustand eine Weiterfahrt ohne Unterbodenschäden nicht mehr zuließ. Einen weiteren Fußmarsch auf der Schotterpiste bei brütenden 35°C in sengender Sonne konnte ich mir wegen meines entkräfteten Zustands nicht mehr zutrauen (Selbstschutzinstinkt - wer in dieser einsamen Gegend umkippt, wird erst Tage später gefunden). Die Schotterpiste wand sich noch sichtbar über einige Hügel ins Nichts, Wintersporteinrichtungen waren keine zu sehen. Ich wähnte mich auf dem falschen Weg und kehrte unverrichteter Dinge um. Erleichtert plünderte ich eine halbe Stunde später in Anogia, wo die Bergstraße zum Psiloritis startet, den Getränkekühlschrank des nächstbesten Geschäfts. Heute weiß ich, dass ich nur etwa einen Kilometer vor dem Ziel aufgeben musste - schade.
Karte Einordnung Psiloritis-Gebirge auf Kreta
© Karte http://www.mymaps.de
Ausschnitt Kreta Touristikkarte 1:100.000, Der Westen: Psiloritis-Gebirge mit Ski Resort
© Harms-IC-Verlag / http://www.harms-ic-verlag.de
Ausschnitt Kreta Touristikkarte 1:100.000, Der Westen: Ski Resort und Nida-Hochebene (Detail)
© Harms-IC-Verlag / http://www.harms-ic-verlag.de
Nida-Hochebene und Ski Resort aus der Vogelperspektive
© Google Earth
Ski Resort aus der Vogelperspektive (Detail)
© Google Earth
Abzweig der Schotterpiste von der Asphaltstraße zum Ski Resort
Da ich leider keine eigenen Fotos vom ehemaligen "Ski Resort" auf Kreta anbieten kann, bleibt mir an dieser Stelle nur die Wiedergabe der freundlicherweise überlassenen Sommerfotos von http://www.kreta-impressionen.de ...
Ruine Stationsgebäude
© H. Vogel / http://www.kreta-impressionen.de
Antrieb oberer Seillift
© H. Vogel / http://www.kreta-impressionen.de
Ruine Stationsgebäude, Pistenraupengarage, Kassenhäuschen und Antrieb unterer Seillift
© H. Vogel / http://www.kreta-impressionen.de
URL zu allen Fotos: http://www.kreta-impressionen.de/orte/nida_4.htm (wird leider zur Startseite umgeleitet)
... sowie die Wiedergabe der folgenden Winterfotos von Crete Tournet, auf denen - für Betrachter mit guten Augen - beide Seillifte noch in Betrieb zu sehen sind. Einer bedient den unteren Hangteil auf der rechten Seite, einer den oberen auf der linken Seite:
© aller Fotos: Crete Tournet / http://www.crete.tournet.gr bzw. Multimedia Systems Center AE, Chania / http://www.msc.gr
Direktlink: http://www.crete.tournet.gr/all-im-0-en ... showId=273
So sieht es übrigens im Winter auf dem höchsten Psiloritis-Gipfel, dem Timios Stavros (2456 m), aus - unter dem Eispilz verbirgt sich eine Kapelle:
© Costis Charalampakis / http://www.panoramio.com/user/35670