Los geht es mit einem interessanten Bericht aus der heutigen Onlineausgabe der Sächsischen Zeitung / Dresden.
Bautzen baut die Straßenbahn der Zukunft
Von Tilo Berger
Der Bombardier-Konzern arbeitet an Fahrzeugen, die keine Oberleitung mehr brauchen. Das kann den Verkehr vor allem in alten Städten revolutionieren.
Eine ganz besondere Straßenbahn drehte gestern ihre Runden auf dem 850 Meter langen Testring des Bautzener Bombardier-Werkes. Die rot-weiße Tram fuhr abwechselnd mit ausgeklapptem oder mit eingezogenem Stromabnehmer. War der Bügel oben, kam der Strom aus der Oberleitung.
Woher die für die Fahrt nötige Energie bei eingeklapptem Bügel kam, erfuhren Journalisten aus Frankreich, den Niederlanden, Österreich und weiteren Ländern von Bombardier-Chefentwickler Carsten Struve. Des Rätsels Lösung liegt im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund. Zwischen den Gleisen befindet sich unauffällig ein Stromkabel. Zu sehen ist es nicht – in Bautzen liegen dünne Betonplatten drauf, andernorts kommt es vielleicht unter Asphalt oder es wächst Gras darüber. Am Unterboden der Straßenbahn wiederum befindet sich ein elektrisches Teil, dessen genaue Beschaffenheit die Bombardier-Entwickler nicht verraten. Dieses Teil kommt dem Kabel nahe genug, dass an dieser Stelle ein Magnetfeld entsteht. Das wird im Fahrzeug in elektrischen Strom umgewandelt.
„Diese weltweit einmalige Technologie ermöglicht den komplett fahrdrahtlosen Betrieb von Straßenbahnen über unterschiedliche Entfernungen und in allen Umgebungen“, erklärte Struve. Sein Team arbeitete bei der Entwicklung der Weltneuheit mit Wissenschaftlern und Fachleuten aus den USA, Kanada und Deutschland zusammen. Bautzener Bombardier-Werker wirkten erst bei der Entwicklung mit, dann rüsteten sie die Muster-Bahn für beide Stromversorgungssysteme um.
Funktioniert bei jedem Wetter
Die neue Technologie mit dem Namen Primove kann den innerstädtischen Nahverkehr revolutionieren, erwartet Bombardier. „Zum Beispiel kann in alten Städten, die wegen Denkmalschutzes keine Oberleitungen haben dürfen, in Zukunft auch eine Straßenbahn fahren“, erläuterte Struve. Das Zusammenspiel von unterirdischem Stromkabel und Fahrzeugelektronik funktioniere bei jedem Wetter und auch auf steilen Strecken.
Das Umschalten zwischen Oberleitungs- und fahrdrahtlosem Betrieb dauert etwa zehn Sekunden, der Fahrgast bemerkt nichts außer dem Surren beim Aus- oder Einklappen des Stromabnehmers. „Das zwischen den Gleisen erzeugte Magnetfeld ist in der Bahn selbst nicht vorhanden“, versicherte der Bombardier-Chefentwickler. In den letzten Wochen hätten sich bereits mehrere Verkehrsunternehmen nach Details erkundigt, sagte der für die Werke Bautzen und Wien zuständige Bombardier-Direktor Germar Wacker: „Das Interesse in der Branche ist groß, Straßenbahnfahren kommt auch unter ökologischen Gesichtspunkten gerade wieder groß in Mode.“
Voraussichtlich im dritten Quartal dieses Jahres würden die Gespräche mit möglichen Käufern konkret. Außerdem plant Bombardier eine Referenz-Strecke in einer Stadt, in der bereits Straßenbahnen des Konzerns rollen. Infrage kommen im Inland zum Beispiel Dresden, Leipzig, Köln, Frankfurt (Main), Essen, Dortmund, Kassel und Halle (Saale). Für einige dieser Städte befinden sich im Bautzener Werk gerade Bahnen in der Fertigung – noch ausschließlich mit Stromabnehmer.
Fotos: SZ-Online
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