Es ist schon komisch: Hier handelt es sich um eines der grossen Skigebiete in den Alpen, und der Haupt-Talort zählt zu den 12 renommiertesten Skiorten in den Alpen, und es findet sich bislang kein bebilderter Bericht im Alpinforum. Daher stosse ich jetzt in diese Lücke, wenngleich ich wetterbedingt auch nur mit sehr wenigen Bildern dienen kann. Möglicherweise liegt der Besuchs- und Berichtsmangel daran, dass das Gebiet auf dem Pistenplan trotz der Grösse keinen allzu spannenden Eindruck macht, oder dass das Skigebiet gemessen an seiner Größe verhältnismäßig niedrig liegt, obgleich es vom höchsten Alpenberg überragt wird. Dieser Sache wollten wir auf den Grund gehen.
Zunächst ein paar Fakten zu den Skigebieten der Talorte St. Gervais und Megève:
1. Skischaukel St. Gervais - St. Nicolas de Veroce - Mt d'Arbois - Megève - Rochebrune - Cote 2000: 235 Pistenkilometer -> Pistenplan
2. Skischaukel Megève - Jaillet - Combloux - La Giettaz (Les Portes du Mont Blanc): 100 Pistenkilometer -> Pistenplan
3. Skischaukel St. Gervais - Prarion - Les Houches: 55 Pistenkilometer -> Pistenplan
Den Tal-Gästen ab Megève/St. Gervais stehen also mit dem am Ortsrand beginnenden Skigebieten 390 Pistenkilometer zur Verfügung, verteilt auf drei Skigebiete, die untereinander nicht verbunden sind, aber mit Pendelbus oder Privatfahrzeug binnen weniger Minuten erreichbar sind. Die Skischaukel 1 besteht wiederum aus zwei Teilbereichen, die pistenmäßig getrennt, aber mittels eines Pendelfunitel, das über drei Schluchten führt, anlagenmäßig verbunden sind. Die unter diesem Thread platzierten Berichte behandeln die Skischaukeln 1 und 2, welche von uns innerhalb von zwei Tagen grob bis in alle Ecken abgefahren wurden. Die Betonung liegt auf grob, denn die Anlagen verfügen in der Regel über viele parallele Pisten. Die alle abzufahren würde viele Tage in Anspruch nehmen.
Die Planung war zunächst eine ganz andere: Getrieben von den tollen Webcam-Bildern sind wir am 30.1. zu früher Stunde an der Talstation in Les Contamines-Montjoie aufgekreuzt. Dort die Ernüchterung: Der komplette obere und rechte Teil des Skigebiets ist infolge eines Lawinenabgangs geschlossen - also der komplette Bereich, der die schwarzen Pisten aufweist und im Pistenplan interessant erscheint. Auch wenn nicht jedes Mitglied unserer Kleingruppe Verständnis für den folgenden Strategiewechsel aufbringt: Für den härtesten Kern unserer Kleingruppe ist klar: Die Schliessung des interessantesten Teils eines Skigebiets ist ein KO-Kriterium und nicht hinnehmbar. Folglich steuern wir "skifussgeleitet" die nächste Talstation an, die uns in ein Skigebiet mit Vollbetrieb bringt. Und das ist nunmal das Bettex-DMC in St. Gervais, knapp 15 Autominuten entfernt. Zwei weitere Entscheidungen werden spontan getroffen: Wir nehmen den Evasion-Skipass für zwei Tage, womit wir uns auf einen zweiten Tag im Bereich der genannten Skischaukeln 1 und 2 bzw. Les Contamines oder Cordon festlegen. Blöderweise ist der Zwei-Tages-Pass nur dann preisgünstiger als einzelne Tageskarten, wenn man an beiden Tagen zumindest einen Teil der Zeit im Gebiet der Schischaukel 1 verbringt. Damit wird auch der zweite Tag grob vorskizziert. Die zweite Entscheidung betrifft den Tagesplan und besteht darin, dass schnellstmöglich der Mt. Joly angesteuert wird. Dieser Berg erscheint gemäß Pistenplan mit Abstand am attraktivsten, und vorerst scheint das Wetter in der Höhe noch schön zu sein. Beim zu befürchtenden Einbruch der Schlechtwetterfront würde man den Mt. Joly vergessen können.
In St. Gervais ist es so wie (leider) in vielen anderen Gebieten: Die geöffneten Kassen haben eine deutlich geringere Kapazität als die Zubringeranlagen. So vergeht etwa eine viertel Stunde, bis wir unsere Skipässe haben. In Anbetracht der drohenden Wetterverschlechterung ist dies ein Grund für Nervosität. Von hier unten ist das Wetter ohnehin schlecht abschätzbar. Über uns liegt eine Hochnebeldecke. Wir wissen nicht, wie hoch ihre Oberkante aktuell liegt, wie es darüber aussieht und wo sich die Schlechtwetterfront befindet. So wird auch die Bergfahrt zum Mt d'Arbois zur langen Zitterpartie. Über mehr als 5 km Drahtseil geht es in zwei Sektionen hinauf, zunächst per DMC20, dann per TC12.
Beim Umsteigen auf Bettex tauchen wir vollends in den Nebel ein, und der hat sich auch noch nicht gelichtet, als wir auf 1.850 m Seehöhe das Kuppengerüst der Bergstationseinfahrt im Nebel erahnen. Ernüchterung beim Aussteigen aus der Gondel! Doch beim Verlassen des Bergstationsgebäudes wieder Hoffnung: Einige Sonnenstrahlen touchieren den Boden. Wir müssen uns also in den obersten Zipfeln der Hochnebeldecke befinden. Nach ein paar Stockschüben zur Fenils-Piste wird es noch besser: Die Mulden zwischen Mt d'Arbois und Mt Joux sowie Mt Joux und Mt Joly sind völlig frei von Nebel. Die Sonne scheint und wird nur durch eine minimale Dunstschicht beeinträchtigt.
Drei Liftfahrten benötigen wir, um auf den Mt Joly zu kommen. Als erstes gilt es den Mt Joux zu erklimmen, der früher kurioserweise mit zwei T-Bügel-Liften von Müller bestückt war. Heute stehen hier eine kuppelbare und eine nicht kuppelbare Sesselbahn. Geöffnet ist nur der TSD4. Der TS2, den ich herstellermässig nicht einordnen kann, steht mangels Nachfrage still.
^^ Bergstation der Zweiersellbahn von komischem Hersteller
Weiter geht's zum Mt-Joly-Massiv, wo parallel der TS2 Epaule (links) und der TS3 Mt Joly (rechts) nach oben führen.
^^ Blick zum Mt-Joly-Massiv mit TS2 Epaule (links) und TS3 Mt Joly (rechts). Rechts im Vordergrund der Schlangenstepper "Evasion"
Vom Mt Joux aus kann man weite Bereiche des Skigebiets überblicken, und dann wird das klar, was bereits vermutet wurde: Der Mt Joly spielt im Vergleich zum Rest-Skigebiet unter geländetechnischen und landschafltichen Aspekten in einer anderen Liga. Genau dort müssen wir hin! Bevor man zum eigentlichen Mt-Joly-Lift gelangt, muss man zwingend den Epaule-TS2 benutzen.
^^ TS2 Epaule (= Schulter -> passender Name); wird hinten recht steil und bietet attraktive rote und schwarze Pisten
^^ Bergstation Epaule mit dem Hochnebelmeer im Westen
^^ Strecke TS2 Epaule; hinten der Mt Joux; rechts die Bergstation des TSD6 Croix du Christ, der aus dem Sektor St. Nicolas de Veroce herauftkommt
Der Mt Joly
Dann geht es, zunächst über steile Pisten, dann über die flache Querfahrt, hinüber zum TS3 Mt Joly. Erstaunlich, dass man beim Epaule einen Zweiersessel gabaut hat und am Mt Joly einen Dreier. Der Epaule ist Beschäftigungsanlage und Verbindungslift in drei Richtungen (Joux-Nicolas, Joux-Joly, Joly-Nicolas); weiterhin bietet er gute Pisten für den Durchschnittsskifahrer; damit erfüllt er viele Funktionen und dürfte an Spitzentagen hoch frequentiert sein. Der TS3 Mt Joly jedoch ist, wie sich bald zeigen wird, ausschliesslich eine "Spezialanlage" für die Freunde steiler, ungewalzter Hänge. Aber das Teil ist der Hammer! Er macht auf gut 1.700 m Länge fast 700 Höhenmeter. Zunächst geht es flach dahin, nach oben wird es immer steiler, bevor es sich oben auf der Mt-Joly-Schulter wieder verflacht.
^^ TS3 Mt Joly in der Gesamtsicht, die Steilheit wird auf dem Bild leider nicht deutlich
Bei der Auffahrt wird klar, dass die Off-Piste-Hänge hier ideal (deutlich aber nicht extrem steil, ganz leicht kupiert) und nahezu unerschöpflich sind. Der ganze Bergrücken ist locker verspurt. Die beiden offiziellen Abfahrten (die wir beide noch fahren werden) sind bei der Bergfahrt nur schwer einsehbar. Oben fährt man zunächst auf der exponierten Schulter, bevor sich die offizielle Abfahrt teilt.
^^ Oben auf der Mt-Joly-Schulter mit Gipfel
Während die rote Piste zunächst stark modelliert und fangnetzgesichert den steilen oberen Teil in Serpentinen überwindet, geht die unpräparierte Schwarze falliniennah nach unten. Wir wählen zunächst die schwarze Variante. Der Schnee ist überwiegend zerpflügt und nicht ganz locker, aber der Hang ist oben ideal. Später kreuzt die schwarze Abfahrt die rote. Danach kommt eine richtig anspruchsvolle "Packung". Die Schwarze ist nur noch spärlich markiert und wird immer steiler, der Schnee wird stärker verpresst. Der grösste Teil der wenigen Skifahrer auf dieser Abfahrt quält sich sichtlich, ein anderssprachiger Skifahrer (Englisch, wenn ich mich recht entsinne) schafft es kaum, seine ausglösten Ski einzusammeln und anschliessend im Steilhang anzuziehen. Mein Hilfeangebot lehnt er jedoch auch ab. Diese Piste ist eine der anspruchsvollsten markierten in den Alpen, die ich kenne.
^^ Schwarze Abfahrt am Mt Joly mit Sprengseilbahn; man kann an der Haltung der Zeitgenossen erahnen, dass sich hier fast Jeder quält
^^ Hier unten ist der steile, ungewalzte Abschnitt der schwarzen Piste zu Ende; die Querfahrt zur Talstation ist dann wieder gewalzt (unterer Bildrand)
Vermutlich sind die freien Hänge abseits der (spärlich) markierten Abfahrt angenehmer und entspannter zu fahren. Auf jeden Fall machen sie einen hoch attraktiven Eindruck. In Unkenntnis der Lawinensituation und da wir die Standard-Ausrüstung nicht mitgenommen haben, lassen wir aber heute die Finger davon.
Nach einer weiteren Auffahrt nehmen wir die rote Piste, die zunächst Serpentinig und dann überwiegend als Querfahrt zurück in Richtung Epaule-Lift führt.
Kurzfazit Mt. Joly: Der Mt Joly ist schon vom optischen Eindruck her ein eindrucksvoller Skiberg. Für Abfahrten im freien Gelände ist er wohl eine der ganz grossen "Lift-Adressen" in den Alpen, und die ungewalzte schwarze Piste ist eine der wenigen richtigen Herausforderungen unter den markierten, die ich kenne. Daher ist dieser Skiberg hoch interessant. Für Liebhaber gewalzter Pisten kann man den Berg getrost vergessen, da die überwiegend quer liegende rote Piste skifahrerisch nichts bietet. Die Auffahrt ist für diese Klientel nur wegen der Aussicht zu empfehlen. Daher ist der Lift als TS3 eigentlich überdimensioniert.
Der Rest
Anschliessend nehmen wir den Rest in Angriff und entschliessen uns, mit einer der längsten Abfahrten zu beginnen und von der Epaule über die Epaule- und Marmottes-Pisten in Richtung St Nicolas abzufahren. Dazu muss man erst mal wieder den Epaule-TS2 nehmen. Die Epaule-Piste geht - Nomen est Omen - eindrucksvoll auf der Bergschulter entlang. Sie erinnert mich ein wenig an den Sennigrat in Schruns. Bald tauchen wir in den Nebel ein. Wir wissen nicht, dass wir damit für den aktuellen und den folgenden Tag Abschied vom schönen Wetter nehmen müssen. Daher wird der Fotoapparat ab jetzt auch weitgehend in der Tasche bleiben.
St Nicolas de Veroce ist ein hübscher, abgelegener Sektor, der vom Ambiente und Betireb her so gar nicht an ein Grossskigebiet erinnert. Und mit der Olympique und der Pte Epaule bietet er richtig gute Pisten mit wechselndem, aber stets vorhandenem Gefälle und einer angenehmen Oberflächenstrukturierung. Die Landschaft können wir nebelbedingt nicht mehr beurteilen. Jugendliche machen aus der Nebel-Not eine Tugend und werfen ihre Stöcke im Schlepplift nach hinten weg - wohl in der Hoffnung an der Bergstation mit nachfolgenden Skifahrern ins Gespräch zu kommen. Der Chattrix-TS2 stellt einen ob seiner stattlichen Länge auf eine Geduldsprobe. Nett auch der steile Gd-Choucas-Hang mit steilem Schlangenstepper für schnelle Wiederholdungsfahrten. Fazit des Sektors: Recht nett, aber auch nichts Aussergewöhnliches. Über den TSD6 Croix du Christ geht es wieder in das Kerngebiet. Zu sehen ist hier oben: nichts! Die Mehrheit beschliesst, das Mittagessen anzusteuern. Dazu fahren wir in den Weiler Communailles ab. Auch wenn ich die Sinnhaftigkeit eines Mittagessens nicht so richtig verstehe, muss ich zugeben: Die Einkehr hier in Communailles ist richtig gut - geschmacklich wie von Ambiente her. Zum Zweck der Essenseinnahme haben wir eines von zwei Restaurants in der Nähe der Talstation ausgewählt.
^^ Typisches Savoyer Essen in Les Communailles
Nach dem Essen wird das Gebiet über einige Lifte (Tk Communailles, TSD4 Croix, Tk Bosses, TSD6 Grands Rossets, TC8 Princesse, TC12 Mt d'Arbois, TSD4 Idéal, Tk Étudiants - manche mehrmals) abgegrast. Die Pisten verlaufen teils durch Waldschneisen, teils über Almwiesen. Die Pisten sind gut, das Gebiet infrastrukturell perfekt erschlossen, aber was fehlt, ist ein besonderes Merkmal des Gebiets. Das hier ist alles nichts Aussergewöhnliches. Das Gebiet ist gross, aber vom gesamten Eindruck her eher durchschnittlich. Positiv stechen die Schlangenstepper Étudiants und Gd Vorasset heraus, die viele Höhenmeter machen und toll trassierte Pisten aufweisen. Unsere Fahrten gehen teilweise durch Nebel und teilweise unter einer dichten Wolkendecke. Die Schlechtwetterfront hat uns erreicht und sich zunächst mit dem Nebel verbunden. Später weicht der Nebel einer "normalen" Bewölkung.
^^ Stangenschlepper Étudiants, lang und steil mit schön trassierten Pisten.
Interessant ist folgende Situation: Nach Megève hinunter gehen nicht weniger als 12 (!) Talabfahrten. 9 gehen zum Plateau du Mt d'Arbois, 3 zur Talstation Princesse. Überhaupt lässt sich feststellen: Die Lifte haben jeweils eine Vielzahl an Pisten. Um diese alle zu fahren, braucht es mehrere Tage.
Hier noch ein paar Spezialbilder:
^^ Mandarines: Dies ist die frühere Bergstation der Pendelbahn Megève-Mandarines, heute ein Restaurant. Die heutige Gondelbahn geht 500 Meter weiter über den flachen Bergrücken bis zur heutigen Bergstation Mt d'Arbois. Die alte Pendelbahn hat die Pisten für Wiederholungsfahrten besser bedient, da das obere Flachstück ausgespart wurde. Die heutige Gondelbahn bedient die Verbindungen im inzwischen entstandenen Grossskigebiet besser.
^^ Das Pendelfunitel Rocharbois verbindet den Mt-d-Arbois-Sektor pistenlos über drei Schluchten mit dem Rochebrune-Cote-2000-Sektor. Diese Anlage war das erste Funitel überhaupt, wobei es diese Bezeichnung damals noch nicht gab. Wir sind diese Anlage erst am nächsten Tag gefahren, als wir im Rochebrune-Sektor waren und einen kurzen Abstecher auf die Mt-d-Arbois-Seite gemacht haben.
Nach einer letzten Auffahrt auf den Mt d'Arbois nehmen wir um 17.00 Uhr die Abfahrt in Richtung St. Gervais, die zu dieser Zeit schon weitgehend verwaist ist.
Gesamtfazit: Der Mt Joly ist ein aussergewöhnlicher Skiberg; St. Nicolas ist ein gemütlicher Sektor mit guten Pisten aber ohne hohe alpine Ansprüche. Der Rest ist ein gutes, aber zu niedrig gelegenes und an Besonderheiten mangelndes Grossskigebiet mit einigen netten Ecken. Das Gebiet kann und sollte man ruhig mal gesehen haben. Ob eine Wiederholung sinnvoll ist, hängt aber von den eigenen Bedürfnissen und Zielen ab. Für mich steht es nicht ganz oben auf der "Wiederholerliste".