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Gletscherschmelze: Wie ein Alpensee zur bleichen Brühe wird

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k2k
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Gletscherschmelze: Wie ein Alpensee zur bleichen Brühe wird

Beitrag von k2k »

Von Spiegel.de, http://www.spiegel.de/wissenschaft/erde ... 54,00.html
Liest sich dort vielleicht angenehmer wie hier.
Gletscherschmelze: Wie ein Alpensee zur bleichen Brühe wird

Der Brienzer See gehört zu den schönsten Gewässern der Alpen. Doch sein einst glasklares Wasser verwandelt sich zusehends in eine milchige Melange. Der Grund: Zehntausende Tonnen Staub von abschmelzenden Gletschern werden Jahr für Jahr in den See gespült.

Im Morgengrauen liegt der Brienzer See im Berner Oberland da wie ein kleines Meer. Sanft legt sich das erste Licht auf einen Saum von dunklen Wäldern hoch über dem Ufer, ehe die Sonne das stolze Sustenhorn am Horizont beleuchtet wie ein Scheinwerfer. Nahe des malerischen Städtchens Brienz strömt schnurgerade die Aare, der längste Schweizer Fluss, in den verträumten See.

In diesem Idyll holt Hanspeter Kaufmann, 57, mehr als ein Dutzend Fischernetze ein. Er tuckert mit seinem Boot täglich hierher und schätzt die Stille. Deshalb besitzt er auch kein Mobiltelefon. "Sonst hat man keine Ruhe", grummelt Kaufmann, "nicht einmal auf dem Wasser."

Der Fischer ist ein Abbild der Beharrlichkeit. Mit spärlichen, aber kräftigen Bewegungen zieht er nach und nach die Netze hoch. Seiner Arbeit haftet aber etwas Melancholisches, ja Tragisches an, weil sich in den Netzen kaum etwas verfängt. Gut eine Stunde später hat Kaufmann ein paar Saiblinge gefangen und wenigstens eine große Seeforelle. Doch mit den Felchen, der Spezialität des Brienzer Sees, sieht es schlecht aus. Die Netze geben nur selten ein Exemplar der schmackhaften Speisefische her, die Andreas Unterberger, 38, Küchenchef des Hotels Chalet du Lac in Iseltwald, am liebsten in der Pfanne zubereitet und mit frischen Kräutern füllt.

Für Kaufmann ist die Ursache des Felchenmangels spätestens beim Waschen und Ausspülen der Netze klar. "Das ist nur noch eine graue Soße, die da herauskommt", schimpft er, als das Wasser kaskadenförmig an der Bordwand hinab läuft. Der Grund für die Verfärbung ist bizarr: In dem See erstreckt sich ein Staubteppich, der unter der Oberfläche schwebt und das Wasser dort in eine Art von Staubwasser verwandelt.

An manchen Tagen wirkt der Brienzer See deshalb wie eine riesenhafte Milchglasscheibe - ob von der Brücke des Raddampfers "Lötschberg" oder vom Hotel Giessbach aus betrachtet, das majestätisch über hohen Tannen aufragt. Kronleuchter und vornehme, mit Gold eingefasste Spiegel hängen dort, die das matte Grau des Sees akzentuieren.

Kaufmann kämpft tapfer, aber vergebens gegen die Verstaubung an. Er ist der letzte Berufsfischer auf dem Brienzer See. Die Kollegen von früher haben resigniert, weil die Felchen in den letzten Jahren so sehr schrumpften, dass sie durch die Maschen der Netze schlüpften und den Fischern entkamen. Ein Satz neuer Netze mit geringerer Maschenweite aber kostet knapp 10.000 Franken - eine Investition, die nicht mehr lohnte.

Der Fischer Eduard Brunner, 68, fährt "nur noch zum Hobby" auf den See hinaus. Er hat einen anderen Arbeitsplatz gefunden und macht nun die "Lötschberg" und die Motorschiffe "Brienz" und "Jungfrau" an der Iseltwalder Hafenmole fest. Und auch Beat Abegglen, 40, hat schwer zurückgesteckt, "weil das mit dem Fischen allein nicht mehr weiterging". Er inspiziert für Siemens im Außendienst nun Brandmelder und legt nur noch in der sommerlichen Hochsaison die Netze aus.

Wenn Abegglen vom See zurückkehrt, muss er die Fischerhose erst einmal mit einem Wasserschlauch vom Staub befreien. "Das sind feinste Gesteinspartikel", erklärt er, "die pappen wie Zement." Und ehe er die Felchen filettiert, muss er Staubflecken auch von den Knöcheln seiner Finger spülen, auf denen sie aussehen wie Kalk.

All das hängt mit einem Phänomen zusammen, das weiter oben in den Berner Alpen überall zu sehen ist: Zügig schmelzen die Gletscher ab, verlieren an Masse und Länge - und die Fernwirkung dieses Geschehens reicht bis ins Fischerdörfchen Iseltwald und auf den Brienzer See hinunter. Dessen Feinstaubteppich stammt zum größten Teil aus den einsamen und kargen Gebirgen am berühmten Grimselpass - einer schroffen, für Menschen nicht gemachten Welt aus Glimmer und Granit. Der Weg zu den Hütten des Schweizerischen Alpen-Clubs ist dort noch ein Leidensweg für Ungeübte, und nur gute Kletterer wagen sich in die steilen Granitwände etwa am künstlich angestauten Grimselsee.

Ganz in der Nähe zieht sich der Unteraargletscher zurück, ein Riese, der mit seinen Eis- und Schuttströmen vor noch nicht allzu langer Zeit vom Fuß des Finsteraarhorns (4273 Meter) bis zum Grimselsee vorstieß. "Er endete, bedeckt mit Geröll, unmittelbar am Rand des Sees", erinnert sich Ueli Mosimann, 54, ein Bergführer, der die Grimsel-Gegend bestens kennt.

Inzwischen aber ist der Unteraargletscher um 500 Meter zurückgewichen. Dabei hat er den Felsenuntergrund regelrecht abgeschmirgelt und ein tristes Vorfeld hinterlassen, das aus Steinen, Granitstaub und Sand besteht. Aus dieser Wüstenei transportiert das Schmelzwasser des Gletschers große Mengen an Schwebstoffen zu den Stauseen am Grimselpass hinab, dem Quellbereich des Aare-Flusses. Hinzu kommt aber noch, was der benachbarte Oberaargletscher abhobelt und durch sein mächtiges Gletschertor talwärts befördert.

Etwa die Hälfte dieser Schwebstoffe verbleibt in den Kraftwerkseen. Die feinen Teilchen aber werden von der Aare weitertransportiert und landen im Brienzer See - und einige in den Felchen von Küchenchef Unterberger, der die Fische "mit etwas Granitstaub drin" aufträgt.

Droben in den Grimsel-Kraftwerken greift der Staub sogar die Turbinenschaufeln an, die eine Leistung von 830 Megawatt erzeugen. Das entspricht derjenigen eines Atomkraftwerks, ist aber auch "mit 2500 Rennwagen der Formel 1 vergleichbar, die alle zur gleichen Zeit Vollgas geben", wie Pressesprecher Ernst Baumberger, 43, im Firmenstandort Innertkirchen ausgerechnet hat. Die Turbinenschaufeln müssen wegen des Staubs immer wieder mal geglättet und mit härterem Stahl beschichtet werden.

Fischer Kaufmann und dessen Nachbar Abegglen sind auf die Kraftwerke nicht gut zu sprechen. Sie werfen ihnen vor, mit ihren Turbinen den Granitstaub derart zu verfeinern, dass er im Brienzer See nicht auf den Grund absinkt. "Das Zeug ist turbiniert", meint Abegglen; die Kraftwerke würden den See als Klärbecken benutzen, das sie nichts koste, wohl aber die Existenz der Fischer.

Wie zum Beweis steht auf dem Schreibtisch Abegglens eine Flasche, die mit Wasser aus der Aare gefüllt ist. Und tatsächlich: In ihr schweben Schlieren feinsten Granitpulvers. Auch Hanspeter Kaufmann beeindruckt Besucher gern mit einer solchen Demonstration. Er sticht mit seinem Boot kurz auf den See und füllt einen durchsichtigen Kunststoffkanister mit Seewasser. Im Schatten einer Rottanne ist auf dem Gartentisch dann das Malheur zu sehen: Auch in dem Kanister Kaufmanns bilden sich Schlieren; ein Teil des Granitpulvers sinkt auf den Grund und hinterlässt dort eine dunkle Schicht.

Die Fischer vermuten, dass die Eintrübung in den Gewässern des Brienzer Sees eine Kettenreaktion verursacht hat. Da das Sonnenlicht kaum mehr durch den Staubteppich gelange, stagniere das Wachstum pflanzlichen Planktons, vor allem der Algen. Die aber bilden die Nahrungsgrundlage der Wasserflöhe und exotischer Geißeltierchen, von denen wiederum die Felchen leben. "Sie sind magerer und kleiner geworden und im Wachstum stark behindert", hat Abegglen beobachtet. "Die Fische verkümmern."

Dass Wasser aus dem hochalpinen Reich der Gletscher dermaßen düster und diesig daherkommt, stellt für die Fischer die Welt auf den Kopf. "Es handelt sich um ein andauerndes Problem, das durch den Hitzesommer des Vorjahrs verschärft wurde", versucht der Seenforscher Alfred Johny Wüest, 48, zu erklären. Weil wegen der Rekordhitze bei Grindelwald eine ganze Gletscherzunge eingebrochen war und eine Flut auslöste, habe zu allem Übel noch ein weiterer, "unglaublicher Schwebstofftransport" stattgefunden.

Um herauszufinden, was genau im Brienzer See passiert, hat der Professor in exakt 250 Metern Tiefe auf dem Grund des Sees eine Staubfalle verankern lassen. Sie soll prüfen, ob Feinstpartikel bis dorthin absinken und ob die Turbinen der Kraftwerke eine Rolle spielen. Wüest schätzt, dass pro Jahr bis zu 30.000 Tonnen Grimselstaub von der Aare in den See befördert werden. Womöglich spiele aber auch ein Mangel an Nährstoffen beim Schrumpfen der Fische eine Rolle. Die Nährstoffe würden von "sehr effizienten" Kläranlagen zurückgehalten, die in der Region gebaut worden sind, gibt Wüest zu bedenken.

Die Fischer aber sind skeptisch. Denn die Untersuchung erfolgt im Auftrag des Kantons Bern, des Mehrheitsaktionärs der Bernischen Kraftwerke - eines Stromgiganten, an dem auch der deutsche Koloss E.on Energie AG beteiligt ist. Das Konglomerat herrscht zur Hälfte auch über die Kraftwerke am Grimsel, was die Fischer nicht heiterer stimmt. "Da wird niemand dem anderen ein Auge aushacken", befürchtet Beat Abegglen. Und Kaufmann ist überzeugt: "Die Fischerei hat im Vergleich zu solchen Konzernen keine Bedeutung mehr."

Es ermutigt aber doch, wenn Kundinnen extra aus Beatenberg hoch über dem nahe gelegenen Thuner See vorbeikommen, um bei ihm rare Felchen einzukaufen. "Die sind frisch. Bei Fisch sind wir strikt", erklären die Damen. Kaufmann entgegnet dann lakonisch: "Vor zwei Stunden zappelten die noch."
"Seilbahnen sind komplexe technische Systeme. Sie sind Werke innovativen vielschichtigen Schaffens und bilden ein spannungsvolles Zusammenspiel technischer und wirtschaftlicher, politischer, sozio-kultureller und landschaftlicher Faktoren." (Schweizerisches Bundesamt für Kultur)

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