Bilder in der Funigallery von www.funivie.org und der Bericht von Starli hatten mich doch sehr neugierig auf die alte Leitner Doppelsesselbahn “Fior di Pietra“ von 1971 gemacht, die seit Jahren dort vor sich hingammelt. Da musste ich hin!
Vom 22. auf den 23.09.2007 ging mein Wunsch dann endlich in Erfuellung: Ein Ortstermin mit eingehender Besichtigung und photographischer Dokumentation der originalen Antriebsspannstation war angesagt. Gleichsam dem Louvre in Paris oder der Pinakothek in Muenchen praesentieren sich hier die Relikte des aufgelassenen Skigebietes als Zeitzeugen einer vergangenen Epoche und klassischen Maschinenbaus. Gefaellig in die Landschaft integriert und von der Natur schon laengst wieder in Besitz genommen stehen die alten Installationen auf dem Areal verteilt, wie das Arrangement eines pseudorealistischen Stillebens in der Tradition des neoklassizistischen Realismus.
Eine Karte in dem von Vandalen heimgesuchten Kassenhaeuschen gibt Auskunft ueber das Gebiet und die Aufstiegsanlagen.
Alle Anlagen sind seinerzeit von dem suedtiroler Hersteller Leitner aus Sterzing errichtet worden. In den Referenzlisten finden sich die folgenden Angaben:
Anlage: „Fior di Pietra“
Besteller: S.r.l. Impianti Sportivi Pian di Novello – Prato
Ort: Pistoia
Laenge: 1.688 Meter
Antriebsleistung: 220 PS
Foerderleistung: 665 Personen pro Stunde
Fahrbetriebsmittel: doppelsitzige Sessel
Baujahr: 1971
Anlage: „Campetto“
Besteller: S.r.l. Impianti Sportivi Pian di Novello, Pian di Novello
Provinz: Pistoia
Laenge: 116 Meter
Antriebsleistung: 7,5 PS
Foerderleistung: 590 Personen pro Stunde
Typ: Ski-Kuli
Baujahr: 1970
Anlage: „Buca die Tassi“
Besteller: S.r.l. Impianti Sportivi Pian di Novello, Pian di Novello
Provinz: Pistoia
Laenge: 485 Meter
Antriebsleistung: 60 PS Diesel
Foerderleistung: 715 Personen pro Stunde
Typ: B/B
Baujahr: 1970
Anlage: „Il Poggione“
Besteller: S.r.l. Impianti Sportivi Pian di Novello
Provinz: Firenze
Laenge: 253 Meter
Antriebsleistung: 38 PS
Foerderleistung: 500 Personen pro Stunde
Typ: A/B
Baujahr: 1971
Anlage: „Pizzo Alpestre“
Besteller: Soc. Imp. Sport. Pian di Novello – Prato
Provinz: Firenze
Laenge: 418 Meter
Antriebsleistung: 51 PS
Foerderleistung: 500 Personen pro Stunde
Typ: B/B Diesel
Baujahr: 1972
Vom Parkplatz direkt an der Strasse gelangt man ueber eine Treppe auf den Auslauf bzw. das Ende der Skipiste. Links von dieser befindet sich der Skilift „Campetto“ vom Typ Ski-Kuli (2. Generation). Knappe 100 Meter weiter bergwaerts auf der rechten Seite befinden sich eine Tribuene, die Talstation des Skiliftes “Buca die Tassi“, das Kassenhaeuschen mit Skischulbuero im Obergeschoss und die Talstation der Dopplesesselbahn “Fior di Pietra“.
Die Antriebsstation vom Typ B/B des Skiliftes “Buca die Tassi“ war urspruenglich mit einem Dieselmotor ausgeruestet; offensichtlich wurde dieser spaeter durch einen Elektromotor ersetzt.
Das schon arg mitgenommene Kassenhaeuschen.
An der Seite des einst stolzen Stationsgebaeudes prangt dieses Schild.
Das Objekt der Begierde: Die Talstation der Dopplesesselbahn. Eine typische Leitner Antriebsspannstation im klassischen Design ohne Schnickschnack und neuzeitigen Spielkram.
Auch die Stuetzen sind noch weitgehenst im Originalzustand und nicht durch Wartungspodeste und Seilhebeboecke verschandelt. Diese haben natuerlich aus Gruenden des Arbeitsschutzes ihre Berechtigung sind aber aus rein aesthetischen Gesichtspunkten (meines Erachtens) ein Graus.
Auf den ersten Blick fehlen lediglich die (sicherlich durch ein Erdkabel ersetzten) original Telefon- und Steuerdraehte, ausserdem ist auf dem Stuetzenjoch anscheinend nachtraeglich ein Gelaender montiert worden.
Nahaufnahme der 4er Kombination einer 6er Rollenbatterie am Waagebalken.
Blick von Stuetze 3 (Hochhalter) auf die Talstation.
Nahaufnahme der 2er Kombination einer 6er Rollenbatterie am Waagebalken.
Blick durch die Niederhalter 1 und 2 auf den Antriebsspannschlitten.
Fetischobjekt: Einfach nur schön! 8er Niederhalter-Kombination am Waagebalken mit den breiten Niederhalterwalzen.
Der Antriebsspannschlitten mit der maechtigen Antriebsseilscheibe von unten.
Schon lange hat niemand mehr diese Not- bzw. Handbremse betaetigt.
Antriebsspannschlitten und Antriebsseilscheibe von der anderen Seite.
Von Vandalen behandelter Schaltschrank im Fahrstand.
Das eigentliche Fahrpult, ebenfalls uebel zugerichtet.
Die majestaetische Antriebsseilscheibe.
Blick aus der Station auf die Trasse.
Geschraubte Seilrollen, bellissimo!
Blick auf den Antriebsspannschlitten von hinten.
Seilwinde am Antriebsspannschlitten zum Einstellen der Spanngewichte.
Der Hauptantriebselektromotor ist eine Drehsrom Asynchronmaschine.
Leistung 220 PS bei 1.470 Umdrehungen pro Minute.
Mit diesem Untersetzungsgetriebe vom Typ SS2 wird die Motordrehzahl vor dem Hauptgetriebe noch etwas reduziert. Offensichtlich bietet dieses Getriebe dabei die Moeglichkeit zwei Fahrgeschwindigkeiten manuell einzustellen: Winterbetrieb (schnell) und Sommerbetrieb (langsam). Rechts des Untersetzungsgetriebes ist vor dem Hauptgetriebe die Betriebsbremse (Backenbremse) angeordnet.
Das Hauptgetriebe vom Typ KSS 4.
Auf der gegenueberliegenden Seite befindet sich der Notantriebsdieselmotor.
Dieser gibt seine Kraft ueber eine serienmaessige LKW-Einscheibentrockenkupplung (links im Bild) an ein normales LKW-Schaltgetriebe (rechts im Bild) weiter. Ueblicherweise werden fuer den Sesselliftnotbetrieb nur der 1. und 2. sowie der Rueckwaertsgang verwendet; die anderen Gaenge sind durch eine Sperre mechanisch blockiert.
Zwischen LKW- und Hauptgetriebe befindet sich eine weitere Kupplung. Diese ist fuer den Notbetrieb (durch das manuelle Eindrehen von Bolzen) zu schliessen.
Durch die von freundlichen Besuchern geputzten Scheiben hat man einen schoenen Blick auf die beiden Schlepplifte im Bereich der Talstation.
Noch einmal das Gesamtarrangement auf der Antriebsbruecke; von links nach rechts sind montiert: Hauptantriebselektromotor – Untersetzungsgetriebe – Betriebsbremse – Hauptgetriebe – Kupplung Notantrieb – Getriebe Notantrieb – Notantriebsdieselmotor.
Weil es so schoen ist, das Ganze noch einmal mit meiner Wenigkeit von der anderen Seite.
Blick von oben in Richtung des Spannschachtes.
Die sauber aufgehaengten Fahrbetriebsmittel vom Typ SGED einsitzig der Schlepplifte.
In der offensichtlich von den Fensterputzern aufgeraeumten Werkstatt finde ich unter anderem Reserveseilrollen nebst Ersatzteilen. Saemtliche von Otto Normalverbraucher zu gebrauchenden Werkzeuge oder Teile sind natuerlich laengst entwendet worden.
Des weiteren lagern hier noch zum Teil original verpackte Gummieinlagen fuer die Seilrollen.
Auch Einzugsfedern fuer die Schleppliftgehaenge sind noch im Neuzustand vorhanden.
Ein letzter Blick von oben auf die schicken Niederhalterwalzen, ehe ich diese interessante Stätte verlasse.
Wie ein erhobener Zeigefinger reckt sich die erste Stuetze des Schleppliftes gen Himmel.
Ich vermute es handelt sich um die allererste Ausfuehrung von Leitner Zentralstuetzen fuer Schlepplifte. Bisher waren mir diese Bauart des Stuetzenprofils und -joches nicht bekannt.
Aus Zeitgruenden ist es mir leider nicht moeglich das ganze Areal abzugehen. Deshalb verweise ich an dieser Stelle auf den Bericht von Starli, der sich die Muehe gemacht hat bis zur Bergstation der DSB und den oben liegenden Schleppliften durch Tiefschnee aufzusteigen:
http://www.alpengallery.at.tf/alpengall ... lo_2006w07
Auf der linken Seite der Abfahrt, eben oberhalb der Bergstation des Ski-Kuli, steht ein Maennlein im Walde. Eine Pistenraupe des italienischen Herstellers Oman.
Die naehere Inspektion ergibt, das dieses Gefaehrt einst von einem luftgekuehlten, turboaufgeladenen und ladeluftgekuehlten 6-Zylinder Reihendieselmotor des italienischen Motorenbauers VM angetrieben wurde.
Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass Oman waehrend der Konstruktion und Planung ab und zu von Prinoth getraeumt hat; oder war’s eventuell umgekehrt???
Etwas hangabwaerts steht ein Schuppen, der eine Leitner Pistenraupe vom Typ LH 400 D Turbo beherbergt. Auch dieses Geraet wurde – wie anscheinend alles hier – schon von Randalierern & Vandalen heimgesucht.
Daneben befindet sich die Bergstation des Ski-Kulis. Es handelt sich um eine Umlenkspannstation.
Die zu diesem Lift gehoerende Antriebsstation befindet sich am Ende der Abfahrt an der Strasse.
Am Parkplatz unterhalb der DSB Talstation wird mit einer Gedenktafel den Partisanen, insbesondere Comandante Pippo, der Zeit von September 1943 bis Mai 1945 (Kriegsende) gedacht.
Ich verlasse diesen interessante Ort mit vielen Fragen, die ein Wiederkommen sehr wahrscheinlich erscheinen lassen: Wann, warum und unter welchen Umstaenden wurde dieses Skigebiet geschlossen und die Anlagen aufgegeben. Es gibt diverse Hinweise, dass noch kurz vor der Schliessung Flutlicht- und Beschneiungsanlagen installiert worden sind. Abgesehen von den, durch die Vandalen verursachten, Schaeden und Zerstoerungen wirken die Anlagen so, als waeren sie nur fuer eine Sommerpause, nicht aber fuer immer, abgestellt worden. Wieso konnte Abetone ueberleben, Pian di Novello aber nicht? Ist dieses Gebiet eventuell absichtlich mit eiskaltem Kalkuel oder gar spekulativ in den Ruin getrieben worden? Und natuerlich zu guter Letzt, was ist hier in der Zeit 1943 bis 1945 geschehen?